Polen: Nawrocki-Sieg wurde Niederlage fĂŒr EuropĂ€ische Union und Sieg fĂŒr Vereinigte Staaten
Von Anastassija Kulikowa
Polen hat die Ergebnisse der zweiten Runde der PrĂ€sidentschaftswahlen zusammengefasst: Nach der Auswertung von 100 Prozent der Stimmzettel ist Karol Nawrocki, der Kandidat der Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), zum Staatsoberhaupt der Republik geworden. Er erhielt 50,89 Prozent der Stimmen, wĂ€hrend sein Rivale, der Kandidat der regierenden "BĂŒrgerkoalition", der Warschauer BĂŒrgermeister RafaĆ Trzaskowski, 49,11 Prozent der Stimmen erhielt. Die endgĂŒltige Wahlbeteiligung lag bei einem Rekordwert von 71,63 Prozent.
Bemerkenswert ist, dass die ersten Wahlprognosen einen Sieg Trzaskowskis vorhersagten. Demnach erhielt er 50,3 Prozent der Stimmen gegenĂŒber 49,7 Prozent fĂŒr Nawrocki. Der BĂŒrgermeister von Warschau konnte sogar seinen Sieg verkĂŒnden und bedankte sich fĂŒr jede fĂŒr ihn abgegebene Stimme. SpĂ€ter kam es jedoch zu einem Wechsel an der Spitze.
Man beachte, dass Nawrocki sich als Hardcore-Antikommunist, Konservativer und nationalistischer Russophobiker positioniert. Im Februar 2024 wurde er auf die russische Fahndungsliste gesetzt, weil er an der Zerstörung von DenkmÀlern der Roten Armee in Polen beteiligt war.
Der Politiker ist auch fĂŒr seine antiukrainischen ĂuĂerungen bekannt. So sprach er sich insbesondere fĂŒr die Einstellung der Hilfe fĂŒr Kiew und gegen den Beitritt des Nachbarlandes zur EU und zur NATO aus. DarĂŒber hinaus fordert Nawrocki, dass die ukrainischen Behörden den Völkermord an den Polen in Wolhynien anerkennen.
WĂ€hrend des Wahlkampfes stand er wiederholt im Mittelpunkt von Skandalen. So stellte sich heraus, dass der Politiker einem Rentner eine Wohnung abgekauft hatte, angeblich im Tausch gegen lebenslange Pflege fĂŒr ihn. SpĂ€ter wurde jedoch bekannt, dass der Ă€ltere Mensch seit langem in einem Pflegeheim untergebracht ist.
In der ersten Runde der PrĂ€sidentschaftswahlen, die am 19. Mai stattfanden, erhielt Trzaskowski 31,36 Prozent der Stimmen, Nawrocki 29,54 Prozent. Daraufhin Ă€uĂerten sich Mitglieder des US-ReprĂ€sentantenhauses besorgt ĂŒber die demokratischen Verfahren in der Republik. Die US-Kongressabgeordneten baten die EuropĂ€ische Kommission, ein GesprĂ€ch ĂŒber möglichen Wahlbetrug in Polen zu organisieren.
Die Vereinigten Staaten sind der Ansicht, dass die Regierungskoalition unter der FĂŒhrung des polnischen MinisterprĂ€sidenten Donald Tusk systematisch gegen die Rechtsstaatlichkeit verstöĂt. DarĂŒber hinaus fand Ende Mai in Polen die Conservative Political Action Conference (CPAC) statt. Kristi Noem, US-Ministerin fĂŒr Heimatschutz, die auf der Veranstaltung sprach, rief dazu auf, fĂŒr Nawrocki zu stimmen, sodass das WeiĂe Haus beschloss, einem konservativen Kandidaten zu helfen, an die Macht zu kommen.
Experten sind nun der Meinung, dass der Sieg Nawrockis am Ende vor allem auf das Handeln Washingtons zurĂŒckzufĂŒhren ist, wĂ€hrend Europa den Kampf um die Republik verloren hat. Wadim Truchatschjow, Dozent am Lehrstuhl fĂŒr auslĂ€ndische Regionalstudien und AuĂenpolitik an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen UniversitĂ€t (RGGU), ist ĂŒberzeugt:
"Nawrocki wird nicht zulassen, dass Tusk sich der EU in Migrationsfragen, bei der Durchsetzung des grĂŒnen Ăbergangs oder der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe beugt. Und Tusk wird nicht zulassen, dass Nawrocki sich auf historische Streitigkeiten mit Deutschland einlĂ€sst und sich mit der EU ĂŒber einen groben VerstoĂ gegen das Prinzip der Gewaltenteilung streitet."
Er rÀumte ein, dass der neu gewÀhlte polnische PrÀsident den Sejm auflösen wird. Seiner EinschÀtzung nach wird die PiS jedoch keine Mehrheit in der neuen Einberufung erhalten. Auf seinem Telegram-Kanal schrieb Truchatschjow:
"Mit den Ukraine-Skeptikern der 'Konföderation' [Anm. d. Red.: eine Koalition mehrerer polnischer rechter und teilweise rechtsextremer Parteien] zu koalieren, wird man ihnen nicht erlauben."
Nach Ansicht des Sprechers ist die Wahrscheinlichkeit groĂ, dass die proeuropĂ€ischen KrĂ€fte ihren Vorteil vorerst behalten werden.
Es ist jedoch möglich, dass die PiS eine Koalition mit einer der proeuropĂ€ischen KrĂ€fte eingeht. Der Analyst fĂŒhrte weiter aus:
"Es wird also weiterhin ein Gleichgewicht geben."
Truchatschjow glaubt, dass die EuropÀische Union den Sieg von Nawrocki anerkennen wird. Der Politologe dazu:
"Anders als George Simion in RumÀnien ist er nicht gegen eine Bewaffnung der Ukraine. Und gegen einen solchen Euroskeptiker hat die EU nichts einzuwenden. Vor allem nicht, solange ihr Mann Tusk Premierminister bleibt."
An den Beziehungen zwischen Warschau und Moskau Ă€ndere sich durch die Wahl Nawrockis nichts, fĂŒgte er hinzu. Der Experte schrieb:
"Polen wird weiterhin Waffen an die Ukraine liefern und als deren Hauptnachschubzentrum fungieren. Weder Nawrocki noch Tusk werden die Ukraine in die EU und die NATO aufnehmen."
Der Polonist Stanislaw Stremidlowski wiederum fĂŒgte hinzu, dass sich die Polen in einer proamerikanischen Umlaufbahn befinden. Er prĂ€zisierte:
"Sie verbinden ihre Interessen und ihre Sicherheit mit den USA."
Der GesprĂ€chspartner erinnerte daran, dass der PiS-Kandidat sich zuvor mit Donald Trump getroffen und der Chef des WeiĂen Hauses ihm sogar den "Segen" zum Sieg gegeben habe. Der politische Analyst wies darauf hin:
"Die polnischen PrÀsidentschaftswahlen wurden also nicht nur vom rechten Kandidaten gewonnen, sondern auch von Trump, der in Opposition zum derzeitigen europÀischen Mainstream steht."
WÀhrend es den EuropÀern in RumÀnien gelungen sei, die Wahl zu ihren Gunsten umzudrehen, habe in Polen "ein solcher Trick nicht funktioniert." Stremidlowski glaubt:
"Ich denke, Washington wird sich jetzt von dem Ergebnis inspirieren lassen und aktiver auf einen Machtwechsel in den europÀischen LÀndern hinarbeiten."
Gleichzeitig durchlÀuft Polen selbst eine Phase der InstabilitÀt: Das Land ist praktisch in zwei Teile gespalten.
Mit dem Sieg von Nawrocki wurde die bestehende PrioritĂ€t in der Republik nicht gebrochen: Das Amt des PrĂ€sidenten wird von einem PiS-Politiker bekleidet, und das Kabinett wird von einem Vertreter der "BĂŒrgerkoalition" geleitet. Das heiĂt, dass die Initiativen des einen von dem anderen blockiert werden.
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass der neu gewÀhlte Staatschef vorgezogene Parlamentswahlen ausrufen wird. Der GesprÀchspartner merkte an:
"Diese Frage wird jedoch auch in der Regierungskoalition aufgeworfen. Die örtliche Presse deutet darauf hin, dass Tusk der Zeit voraus sein und bereits in dieser Woche im Sejm die Frage eines Vertrauensvotums fĂŒr die Regierung aufwerfen könnte."
Er betonte: Der Premierminister befinde sich in einer schwierigen Situation.
Der Experte erinnerte daran, dass Tusk zuvor versprochen hatte, die Koalitionsvereinbarung zu ĂŒberarbeiten. Stremidlowski rĂ€umte ein:
"Er verhĂ€lt sich wie ein klassischer Raider. Seine Koalitionspartner haben immer weniger Macht. Jetzt wird der Politiker versuchen, die Reihen zu schlieĂen.
Gleichzeitig hat die PiS die Möglichkeit, noch in diesem Jahr den Zusammenbruch der aktuellen Koalition zu erreichen und ihr Kabinett mit den Stimmen der Partei 'Konföderation' und möglicherweise ĂŒbergelaufener Abgeordneter der 'Polnischen Bauernpartei' zu bilden."
Die Ereignisse innerhalb des Landes werden auch durch einen externen Faktor in Form der USA beeinflusst, fĂŒgte der Polonist hinzu. Der Sprecher meint:
"Warschau könnte zu einer Plattform fĂŒr Washington werden, um neue geopolitische Szenarien gegen Europa zu entwickeln."
Was die Beziehungen zwischen Russland und Polen betrifft, so lohnt es sich nicht, auf eine Verbesserung zu hoffen, betonte der Experte. Stremidlowski erklÀrte:
"Nawrocki hat eine Abneigung gegen unser Land. Aber zwei Dinge sollten berĂŒcksichtigt werden. Erstens hat der Politiker einmal gesagt, er sei bereit, sich mit Wladimir Putin zu treffen und ihm die Hand zu geben, um die nationalen Interessen des Staates zu verteidigen.
Zweitens: Nawrockis Ausrichtung auf die Vereinigten Staaten macht es möglich, dass im Falle einer Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen der Nebeneffekt, wenn nicht eine Partnerschaft, so doch zumindest eine EindÀmmung der antirussischen Aggression sein wird, die wir von der Tusk-Regierung erlebt haben."
Aber wer sich wirklich Sorgen ĂŒber Nawrockis Sieg machen sollte, ist Kiew. Der Analyst glaubt:
"Die Ukraine steht vor einem Problem.
Wir haben gesehen, dass der PiS-Kandidat wĂ€hrend des Wahlkampfes auch ein kategorischer Gegner des Beitritts der Ukraine zur NATO und zur EU war. Jetzt ist Kiew sehr enttĂ€uscht ĂŒber den Sieg von Nawrocki und hĂ€lt das fĂŒr eine ziemlich alarmierende Nachricht â und das zu Recht."
Der deutsche Politikwissenschaftler Alexander Rahr wiederum machte darauf aufmerksam, dass Nawrocki in den westlichen Medien als konservativ bezeichnet wird, wÀhrend andere rechte Politiker in Europa als "populistisch" oder "prorussisch" bezeichnet werden. Der GesprÀchspartner geht davon aus:
"Offenbar wollen sich die liberalen KrÀfte nicht zu sehr mit einem einflussreichen Polen anlegen, um Warschau nicht gÀnzlich zu 'verlieren'.
Ein offensichtliches Ergebnis dieser Kampagne ist, dass ĂŒberall in Europa â vor allem im östlichen Teil Europas â rechte KrĂ€fte im Vormarsch sind. Aber in Berlin, London, Paris und BrĂŒssel bleiben die liberalen KrĂ€fte an der Macht und verfĂŒgen noch ĂŒber genĂŒgend Instrumente, um ihre Position zu festigen.
Gleichzeitig befĂŒrchtet Deutschland, dass der neue polnische PrĂ€sident die Kritik an Berlin wegen der ausbleibenden Reparationszahlungen fĂŒr SchĂ€den, die Polen durch Hitlerdeutschland zugefĂŒgt wurden, verschĂ€rfen wird. Warschau fordert die sagenhafte Summe von einer Billion Euro. Diese Summe versucht Merz nun in Form von Krediten zur AufrĂŒstung Deutschlands zusammenzukratzen."
Derweil sei Nawrockis Sieg "vor allem eine Niederlage fĂŒr die Liberalen und die Regierung Tusk sowie fĂŒr BrĂŒssel, das versucht hat, Polen vor dem Abgleiten in den Konservatismus zu bewahren". Rahr erklĂ€rte:
"Anders als in RumÀnien, wo es möglich war, die Konservativen zu stoppen, gibt es in dieser Republik keinen sogenannten prowestlichen Tiefenstaat.
Die KrÀfte der Liberalen und der Konservativen sind in Polen gleich stark, die Gesellschaft ist zweigeteilt, wie das Ergebnis der PrÀsidentschaftswahlen zeigt. Gleichzeitig hat sich mit dem Sieg von Nawrocki die Macht in Polen nicht verÀndert: Das Land wird nicht vom PrÀsidenten, sondern von der Regierung der Liberalen unter der Leitung von Tusk regiert. Allerdings kann das neue Staatsoberhaupt die Arbeit des Kabinetts auf vielfÀltige Weise behindern, zum Beispiel durch sein Veto gegen ultraliberale Gesetzesvorlagen."
Ăbersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 2. Juni 2025 zuerst bei der Zeitung Wsgljad erschienen.
Anastassija Kulikowa ist eine Journalistin und SMM-Redakteurin der Zeitung Wsgljad.
Mehr zum Thema - Polen: Der rechtskonservative und EU-kritische Karol Nawrocki gewinnt die PrÀsidentenwahl
podbean.com/player-v2/?from=emâŠ