Am Rande des Abgrunds: Trumps Umgang mit Konflikten


Von Fjodor Lukjanow

Trumps Amtsantritt im Oval Office wurde von dem Ruf begleitet, er sei der erste US-Präsident seit langer Zeit, der keinen Krieg begonnen habe. Dies liegt jedoch nicht an seiner organischen Friedensliebe, denn er war genau derjenige, der das Konzept "Frieden durch Stärke" propagierte.

Die Kriegslust seiner Vorgänger war ideologisch motiviert (Notwendigkeit der Aufrechterhaltung und Ausbreitung der liberalen Weltordnung), während Trump dies völlig gleichgültig ist. Er lässt sich von seinem Verständnis des nationalen Interesses und der Diplomatie (in seiner Terminologie: die Kunst des Deals) leiten, das er aus seiner beruflichen Laufbahn in New York übernommen hat.

In nur sechs Monaten schaffte es Trump, die internationale Politik durcheinanderzubringen. Mit seinen Zielen ist er zwar noch nicht so weit, aber er hält sich strikt an das Motto, das er in seiner Jugend lernte: Was auch immer passiert, verkünde immer einen Riesenerfolg und gib niemals zu, dass du verloren hast.

Interessanter ist die Frage, inwieweit Donald Trump, der sowohl in seiner ersten als auch in seiner zweiten Amtszeit das Establishment in Schrecken versetzte, wirklich ein systemkritischer Politiker ist, also jemand, der in der Lage ist, etablierte Normen zu brechen und politische Entwicklungen zu verändern.

Dieses Thema ist in den letzten Tagen stark in den Fokus gerückt. Trump und seine Mitstreiter machten in der Frage des sogenannten "Epstein-Dossiers" – einer angeblich von den Geheimdiensten versteckten Liste von Kunden eines elitären Bordells, in dem ihnen Minderjährige angeboten wurden – eine 180-Grad-Wende. Epstein selbst beging vor sechs Jahren in Haft Selbstmord und nahm damit die brisanten Enthüllungen über die Mächtigen mit ins Grab. Für die treuen Anhänger Trumps handelt es sich um eine sakrale Angelegenheit, da unter ihnen die Theorie verbreitet ist, dass eine geheime Pädophilen-Mafia die Welt regiert. Eines der Versprechen Trumps als Präsidentschaftskandidat war es, genau diese Details, die die herrschende Kaste zu verbergen versuchte, öffentlich zu machen. Und plötzlich behauptet die derzeitige US-Regierung, es gäbe keine weiteren Details, Epstein habe sich wirklich einfach selbst umgebracht und die Akte sei eine Erfindung der US-Demokraten.

Was dahintersteckt – tatsächlich das Fehlen einer Intrige oder der Wunsch, diese endgültig zu vertuschen – werden wir, wenn überhaupt, erst später erfahren. Doch die Version, dass Trump entweder vom "Tiefen Staat" gebrochen worden sei oder dass er diesen nie verlassen habe, wird von namhaften Trump-Anhängern wie Steve Bannon und Elon Musk vertreten.

Außenpolitisch gibt es keine derart spektakulären Geschichten, aber auch hier bestehen Zweifel an Trumps Fähigkeit und Bereitschaft, seinen früheren Aussagen treu zu bleiben.

Am Beispiel von Trumps Haltung zu "endlosen Kriegen" lassen sich seine tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen besser erkennen.

Geduld ist nicht Trumps Stärke, er setzt auf Druck und schnelle Ergebnisse. Sind diese nicht zu erreichen, ist es möglich, dass er zurückweicht, um einen neuen Angriff zu starten. Oder mehrere.

Eine lange, beständige Beteiligung an einer Konfrontation entspricht jedoch nicht Trumps Charakter. Das bedeutet nicht, dass er keine Ziele oder keine allgemeine Vision hat (was nicht unbedingt intellektuell sein muss, sondern auch instinktiv erfolgen kann) – deren Umsetzung basiert jedoch auf einer Angriff-Rückzug-Methode.

Internationale Konflikte, die meist tief in der Geschichte und Kultur verwurzelt sind, lassen eine solche Behandlung nicht zu. Dass sie sich so schwer lösen lassen, wäre noch halb so schlimm. Schlimmer ist, dass diejenigen, die die Situation übereilt in Ordnung bringen wollten, oft in den Abgrund stürzen und dort bleiben. Trump ist sich dessen bewusst, daher sein Stil: möglichst laute Effekte, die oft die Grenzen des Anstands überschreiten, vor dem Hintergrund durchaus umsichtiger Handlungen.

Die jüngste Beteiligung der USA am Krieg Israels gegen den Iran illustriert dies deutlich. Dieser demonstrative, von Siegesrufen begleitete militärische Akt sollte sich darauf beschränken und sich nicht in den Konflikt verstricken. Das ist gelungen. Selbst die überreizten Isolationisten unter den Trumpisten beruhigten sich schnell wieder. Das iranische Problem blieb ungelöst, aber das spielt keine Rolle, denn Trump hatte wahrscheinlich nicht vor, es zu lösen. Er musste aus einer komplexen internationalen Krise herausschlüpfen, ohne dass die innenpolitische Situation darunter litt.

Das Ukraine-Problem erweist sich als zu komplex, um seine Lösung einfach zu imitieren. Die verfügbaren Optionen für Trumps Verhalten sind nicht zufriedenstellend. Entweder er kehrt de facto zu Bidens Kurs zurück und behandelt den "fremden" Krieg als seinen eigenen, oder er zieht sich aus dem Prozess zurück und überlässt ihn anderen. Die erste Option ist eindeutig ungeeignet; die zweite erfordert eine revolutionäre Kehrtwende, zu der Trump nicht in der Lage ist.

Der US-Präsident versucht, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Angekündigt wurden eine Abwälzung der Krise auf die europäischen Verbündeten (mit dem Versuch, sich finanzielle Vorteile zu verschaffen) und ein weiterer Schwenk im Rahmen von Trumps globalem Zollkrieg. Letzteres ist für ihn unvergleichlich wichtiger als alles andere.

Unabhängig davon, was Trump über den Ukraine-Konflikt denkt, wird er nicht direkt gegen den Mainstream vorgehen. Aber er wird versuchen, ihn auszumanövrieren und weiter "seitwärts zu driften". Moskau steht vor der Frage, wie es reagieren soll – mit Verständnis ("Trump tut, was er kann") oder mit Empörung (Wiederaufnahme der Waffenlieferungen an die Ukraine). Wie dem auch sei, die erste Phase der Interaktion mit Russland, die sechs Monate dauerte, endete ergebnislos. Es hat keinen Sinn, darüber zu spekulieren, wann die nächste Phase kommt und wie sie aussehen könnte.

Ăśbersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 16. Juli 2025 auf der Homepage der Fachzeitschrift "Russia in Global Affairs" erschienen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs "Waldai".

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