"Gegenangriff der letzten Hoffnung" â GrĂŒnde fĂŒr ukrainischen VorstoĂ bei Kursk und seine Aussichten
Von Wladislaw Sankin
Der Gegner sei derzeit "aktiv am Sterben", meldete der Telegram-Kanal MilitĂ€rchronik am Sonntagvormittag mit Verweis auf Angaben der Spezialeinheit "Achmat", die im Gebiet Kursk mit der Verteidigung des Weilers Berdin betraut ist. Diese Art mörderisch-schwarzen Humors ist typisch fĂŒr die Berichterstattung zahlreicher russischer MilitĂ€rblogger, die mit ihren Meldungen oft den spĂ€rlichen Berichten des Verteidigungsministeriums im Voraus sind. Der Informationskrieg duldet keine Leere â fĂŒllt man diese nicht mit eigenen Wahrheiten, sind die feindlichen Quellen sofort zur Stelle, um den Durst der interessierten Ăffentlichkeit an frischen Frontnachrichten zu stillen.
So war es auch mit den aktuellen ukrainischen Angriffen und im Gebiet Kursk. Seit einer Woche war in den russischen MilitĂ€rblogs davon die Rede, dass die AFU (ukrainische StreitkrĂ€fte) fĂŒr Anfang Januar eine GroĂoffensive in den Gebieten Kursk, Belgorod oder Brjansk vorbereiten wĂŒrden. Am frĂŒhen Sonntagmorgen meldete der russische MilitĂ€rblogger und Kenner der Region, Roman Aljochin, dass die feindliche Offensive, von der er zuvor berichtet hatte, begonnen habe. "Sie begann von Sudscha aus in Richtung Bolschoje Soldatskoje, obwohl wir diese Richtung als die schwierigste fĂŒr den Feind betrachteten. Bei der Offensive setzt der Feind MinenrĂ€umungsschleppnetze, Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge ein. Der Feind hat das Angriffsgebiet dicht mit REB [Radioelektronische Abwehr â Anm. der Red.] abgedeckt, sodass viele Drohnen nutzlos sind", schrieb Aljochin.
Nach wenigen Stunden bestĂ€tigte das russische Verteidigungsministerium, dass es tatsĂ€chlich einen Gegenangriff in Richtung Berdin, westlich von Bolschoje Soldatskoje, gegeben hat und dass dieser abgewehrt wurde. Zerstört wurden zwei Kampfpanzer und sieben gepanzerte Fahrzeuge â RT DE berichtete. Allerdings ist es dem Gegner offenbar gelungen, Gruppen von Infanteristen in einem WaldstĂŒck am Rande von Berdin anzulanden. Die Spezialeinheit "Achmat" meldete einen Nahkampf mit Handfeuerwaffen, den auch Aljochin bestĂ€tigte.
Zudem sprach er von Durchbruchversuchen in anderen Richtungen im Bezirk Sudscha. Insgesamt erweise sich die Situation fĂŒr die Ukrainer als nicht sehr erfolgreich, merkte er an. Sie wollten die wenigen frostigen Tage im sonst milden Januar nutzen, denn sonst sind die StraĂen und Felder in dieser Region wegen des schlammigen Bodens nicht passierbar. Der Offensivversuch war damit allein schon aus diesem Grund fĂŒr die russische Seite berechenbar. Der MilitĂ€rkorrespondent Alexander Sladkow, der sich ebenfalls in der Region sehr gut auskennt, spricht sogar von einer Falle, in die sich die Ukrainer zum wiederholten Male hineinmanövrieren. Dem russischen MilitĂ€rkommando attestierte er hingegen Geschick:
"Die Aktionen unseres Oberkommandos in Richtung Kursk [einschlieĂlich der Erlaubnis fĂŒr den Feind, die DurchgĂ€nge zu verminen] verstehe ich als kalkuliert und gĂŒnstig. Ich bin generell der Meinung, dass der Feind in eine eigene militĂ€rische und politische Falle marschiert."
Auch der MilitĂ€rblogger und VolontĂ€r Aljochin, der sich oft kritisch ĂŒber die MĂ€ngel an der Front Ă€uĂert, klingt optimistisch. Kurz vor zwei Uhr Moskauer Zeit hat er schon den dritten Anlandeversuch bei Berdin und insgesamt 15 zerstörte Fahrzeuge sowie bis zu hundert getötete Soldaten gemeldet. In einem weiteren Posting lobte er die verbesserte Nachrichtenarchitektur der Russen im Gebiet Kursk, die zum groĂen Teil durch BemĂŒhungen Freiwilliger wie er zustande gekommen sei. Die Russen setzen in letzter Zeit auch im Gebiet Kursk verstĂ€rkt kabelgesteuerte FPV-Drohnen ein, was ihnen hilft, die radioelektronische UnterdrĂŒckung durch den Gegner zu umgehen. Zu ihren Vorteilen zĂ€hlen darĂŒber hinaus Bilder in viel schĂ€rferer Auflösung, die dabei helfen, Angriffsziele besser zu identifizieren.
In der Bewertung der Ziele des ukrainischen VorstoĂes sind sich viele MilitĂ€rbeobachter einig, dass diese gröĂtenteils politischer und nicht militĂ€rischer Natur seien. Auch das ukrainische Nachrichtenportal Strana erkennt dies an: Den Vereinigten Staaten soll gezeigt werden, dass die ukrainischen StreitkrĂ€fte auf dem Schlachtfeld erfolgreich sein können und dass die These, die Ukraine werde den Krieg unweigerlich verlieren, wenn sie weitermacht, falsch sei. Und deshalb sei es notwendig, Kiew weiterhin zu unterstĂŒtzen und keine ZugestĂ€ndnisse an Russland zu machen.
Doch um diese politischen Ziele zu erreichen, mĂŒssten die Ukrainer mehr als nur einige weitere Kursker Dörfer einnehmen. Dies werde niemanden beeindrucken. "Es könnte zum Beispiel ein VorstoĂ in die NĂ€he des Atomkraftwerks Kursk sein." Doch ob die Ukraine ĂŒber die KrĂ€fte fĂŒr einen solch tiefen Durchbruch verfĂŒgt, sei noch nicht bekannt, zweifelt Strana und fragt: "Eine andere Frage ist, wie sich die Verlegung von AFU-Reserven fĂŒr eine Offensive auf russischem Territorium auf andere Teile der Front auswirken wird. Insbesondere dort, wo die Russen jetzt aktiv angreifen."
Dass diese Frage eher rhetorisch gemeint, liegt ebenso auf der Hand. Das bestĂ€tigen auch MilitĂ€ranalysen aus russischen armeenahen Quellen. Einige nennen die Offensive schon "Gegenangriff der letzten Hoffnung". "Aus militĂ€rischer Sicht sollten die jetzt vorrĂŒckenden Einheiten die ukrainische Verteidigung im Donbass verstĂ€rken und nicht in Kursk Material verbrennen", schreibt etwa der MilitĂ€rkorrespondent Alexander Koz auf seinem Telegram-Kanal. In einem weiteren Posting benennt er, mit welchen Schwierigkeiten sich die ukrainische MilitĂ€rfĂŒhrung im Gebiet Kursk konfrontiert sieht.
Es mĂŒsse klar sein, dass Kiew einige seiner besten Reserven in die Schlacht geworfen hat, stellt er fest. "Es sind keine auf der StraĂe aufgegabelten Mobilisierten, sondern westlich ausgebildete Profis mit NATO-AusrĂŒstung, die auf Bolschoje Soldatskoje und den Weiler Berdin vorrĂŒcken." Der Experte zĂ€hlt die GrĂŒnde auf, warum den Ukrainern auch mit gut ausgebildeten KĂ€mpfern kein Durchbruch gelingt:
"Erstens funktioniert Starlink, an das die gesamte Kampfsteuerung der AFU gebunden ist, auf dem 'alten' russischen Territorium nicht. Man gewöhnt sich schnell an die guten Dinge.Zweitens ist der Feind im Gebiet Kursk durch seine Luftabwehr schlecht abgedeckt. Kiew riskiert nicht, die knappen Patriots an die russische Grenze heranzuziehen. So kann die russische taktische und militÀrische Luftfahrt mit voller Kraft arbeiten.
Drittens ist es im Winter Ă€uĂerst schwierig, AusrĂŒstung zu verstecken. Waldregimenter stehen nackt da, die Hitze des Motors ist durch WĂ€rmebilder kilometerweit zu sehen, und die Spuren im Schnee sind aus der Luft gut sichtbar. Und die AFU werden auf einer vorbereiteten Verteidigungslinie vorrĂŒcken mĂŒssen.
Viertens schlieĂlich steht Kiew unter Zeitdruck. Es ist Ă€uĂerst wichtig, dass es vor Trumps AmtseinfĂŒhrung zumindest ein Ergebnis vorweisen kann. Wer in Eile ist, macht Fehler und erleidet schwere Verluste. Im Zeitalter der Drohnen funktioniert der Blitzkrieg nicht mehr."
Laut den Experten von MilitĂ€rchronik wird der entscheidende Schlag der Ukrainer erst morgen oder ĂŒbermorgen erwartet. Die Resultate des kurzlebigen Angriffs auf Berdin mĂŒssten heute von der ukrainischen MilitĂ€rfĂŒhrung ausgewertet werden. Ob die AFU ihre Ziele erreicht haben oder nicht, sei unklar, denn es wird keine VerstĂ€rkungsgruppe nach Berdin entsandt, und die Angriffsgruppe sei zu klein, um ein lĂ€ngeres "Sit-in" (im Waldstreifen) ohne schwere Waffen zu ĂŒberstehen. GemÀà den letzten Meldungen vom Schlachtfeld seien die verbliebenen ukrainischen Soldaten eingekesselt und von der russischen Artillerie unter Beschuss genommen worden. Die Ăberlebenschancen dieser Anlandegruppe seien Ă€uĂerst gering.
Die MilitĂ€rbeobachter gehen deshalb davon aus, dass der Hauptangriff in eine andere Richtung gehen wird: Höchstwahrscheinlich werde er durch das sĂŒdwestlich gelegene Grenzdorf Tjotkino fĂŒhren (dort gibt es derzeit keine AktivitĂ€ten) oder entlang der Autobahn E38 nach Rylsk, wozu eine groĂe mechanisierte Gruppe eingesetzt werden könnte. Die nĂ€chsten Tage werden zeigen, ob diese EinschĂ€tzungen zutreffen.
Mehr zum Thema â Liveticker Ukraine-Krieg: Ukrainische Einheiten in der NĂ€he von Kupjansk von Einkesselung bedroht
Witteg
Als Antwort auf Zaubermau • • •Zaubermau
Als Antwort auf Witteg • • •@Witteg
Argh. ich hab so viel berichtigt an dem Post :P
Doch ja, ist wichtig, wenn ich schon so meckere. X)
Zaubermau
Als Antwort auf Zaubermau • • •Achja, und weil ich grad dabei bin:
Englisch: "That makes sense."
Deutsch: "Das ergibt Sinn" oder "Das ist sinnvoll."
NICHT "Das macht Sinn."
Das ist FALSCH und vor allem - ES IST SUPERHĂSSLICH!
ARRRRRGH!