Kriegsertüchtigung: Berlin will Krankenhäuser auf "Verteidigungsfall" vorbereiten


Zuerst hatte der Tagesspiegel am Mittwoch berichtet, seit gestern liegt eine offizielle Pressemitteilung zum Thema vor: Berlin will nicht nur für Katastrophenfälle und Notlagen die medizinische Versorgung sicherstellen, sondern ausdrücklich auch im sogenannten Verteidigungsfall. Der Berliner Senat und die Krankenhäuser des Landes bereiten sich explizit auf ein solches Szenario vor. Die Einzelheiten der diesbezüglichen Planungen bleiben aus naheliegenden Gründen geheim, doch die Grundzüge einer Ertüchtigung der Berliner Krankenhäuser für den Kriegsfall sind der Presse bekannt.

Neue zentrale Strukturen

Als vorrangig erachtet werden zentrale Befehls- und Kommandostrukturen, die auf Landesebene als Gegenstücke die Anweisungen von Bundesregierung und Senat empfangen können. So soll ein zentraler Krisenstab eingerichtet werden, dem dann viele Kliniken unterstellt wären. Um die Instruktionen in den einzelnen Krankenhäusern umzusetzen, soll in jeder Klinik eine Einsatzleitung gebildet und geschult werden. Im Falle eines Falles müsste dieses Leitungsgremium dann sofort einsatzbereit sein. Wie der Tagesspiegel schreibt, würden – "branchenintern" – Vertreter der Gesundheitsverwaltung und der in Berlin ansässigen Krankenhauskonzerne, aber auch die konfessionsgebundenen Kliniken ein solches Konzept für "praktikabel" erachten.

Um das Klinikpersonal auf den Ernstfall vorzubereiten, seien regelmäßig entsprechende Veranstaltungen erforderlich – zur "Sensibilisierung". Dabei gilt es offenbar als Vorzug der Berliner Krankenhäuser, im Laufe des Krieges in der Ukraine bereits viele Patienten von dort behandelt zu haben. Ärzte und Pflegepersonal seien "mit kriegstypischen Verletzungen vertrauter als noch vor wenigen Jahren", schreibt die Zeitung. Das medizinische Personal verfüge mittlerweile über Erfahrungen mit "Wunden durch Explosionen, Großkaliber und Bombensplitter". Insbesondere "in der Charité, dem Unfall- sowie dem Bundeswehrkrankenhaus" seien solche Verletzungen des Öfteren behandelt worden.

"Rekrutierung"

Nun sollen Krankenpfleger, Sanitäter und Ärzte ermittelt werden, die sich bereits im Ruhestand befinden oder in andere Berufsfelder gewechselt sind, um sie im Not-, aber eben auch Kriegsfall kontaktieren und einsetzen zu können. Und was die eingangs erwähnte "zivil-militärische Zusammenarbeit" betrifft, legt der Tagesspiegel eben eine solche Kooperation auch in Berlin nahe:

"Unbestätigten Angaben zufolge fragte der Senat die Bundeswehr auch nach einem Überblick über in Berlin lebende Reservisten, die im Gesundheitswesen arbeiten. Daten dazu sind derzeit jedoch wohl nicht verfügbar."

Zwar verfügen Kliniken auch jetzt schon über Notstromaggregate, doch die Anforderungen an solche Installationen für Notfälle sollen nun erweitert werden. Künftig müssen Krankenhäuser nicht nur für ihre eigene Stromversorgung, sondern auch für ihren Fuhrpark Treibstoffreserven anlegen, die für bis zu 72 Stunden ausreichen sollen. Darüber hinaus ist die Einrichtung "autarker" Kommunikationsnetze, worunter offenbar ein eigenes Digitalfunksystem zu verstehen ist, geplant. Zudem sollen sich die Krankenhäuser auf enge Zusammenarbeit mit Polizei und Feldjägern der Bundeswehr einstellen.

Am Donnerstag haben Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) und Marc Schreiner, der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft, den gerade verabschiedeten Rahmenplan gemeinsam vorgestellt. Bereits vor zwei Jahren hatte in der Berliner Gesundheitsverwaltung eine Arbeitsgruppe das Handlungskonzept für den "NATO-Bündnisfall" erarbeitet. Es ist bekannt, dass ähnliche Überlegungen sowohl im Kanzleramt als auch in der Bundeswehr angestellt werden.

Umsetzung in der Praxis – "Corona" als Testlauf

Für den Fall eines Krieges rechnen laut Pressebericht ungenannt bleibende "Experten" mit erheblichen Sabotageaktionen, von denen auch die zivile Infrastruktur betroffen sein dürfte. Zu den Schwierigkeiten, mit denen zivile Stellen und Militär im Kriegsfalle konfrontiert wären, würde der Transport tausender NATO-Soldaten quer durch Deutschland zählen. Das Chaos würde noch dadurch verstärkt, dass absehbar eine große Zahl verwundeter Soldaten und verletzter Zivilisten in den Berliner Krankenhäusern behandelt werden müsste.

Um das befürchtete Durcheinander einzugrenzen, soll sowohl im Katastrophen- als auch im Kriegsfall der Berliner Senat die Versorgung koordinieren – vor allem mit Blick auf die anzunehmende große Zahl von Verletzten. Wohl nicht zufällig will die öffentliche Verwaltung dabei auf Erfahrungen zurückgreifen, die mit den staatlich verordneten Corona-Maßnahmen gesammelt wurden. In ähnlicher Weise sollen auch im Kriegsfall die Patienten in verschiedene Kategorien eingeteilt und je nach Schweregrad auf bestimmte Krankenhäuser verteilt werden. Kliniken der Stufe "Rot" bleiben Schwerstverletzten vorbehalten. Vorgesehen sind zwei weitere Abstufungen für Notfallpatienten in den Farben "Gelb" und "Grün". Darüber hinaus sollen Krankenhäuser außerhalb der Notfallmedizin einer Kategorie "Blau" zugeordnet werden, die beispielsweise für Reha-Maßnahmen zuständig wären.

Für die Steuerung des Klinikbetriebs soll auch im Kriegsfall die derzeit verwendete zivile Software "Ivena" weiter in Gebrauch bleiben. Seit vielen Jahren wird dieses System von Feuerwehren und Rettungsdiensten genutzt. Das Programm erfasst Bettenkapazitäten, verfügbare Medikamente und einsatzbereites Personal. Notärzte und Sanitäter geben Patientendaten und erste Diagnosen vor Ort in das vernetzte System ein, wodurch Logistik und Therapie koordiniert werden können. Ob sich das in Friedenszeiten erprobte System auch unter Kriegsbedingungen einsetzen ließe, gerade wenn konventionelle Telekommunikation und Internet unterbrochen sind, scheinen die Planer nicht bedacht zu haben – auch wenn sie ein eigenes Digitalfunknetz für den Kriegsfall schaffen wollen.

Begründung für den "Rahmenplan": Russland

Berlin ist das erste Bundesland, das zumindest auf dem Papier ein Konzept für eine "krisenresiliente Krankenhausversorgung" erstellt hat, wie die anfangs erwähnte Pressemitteilung feststellt. Dabei geht es um "Arbeitsaufträge" für eine Krisen- und Notfallversorgung, die – so das dazugehörige "Faktenblatt" – ausdrücklich in den aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Kontext gestellt werden.

Dabei liegen die ersten Planungsschritte in dieser Richtung mindestens zehn Jahre zurück. Als Begründung für die Einbindung der zivilen Krankenhäuser in die Planungen für den Kriegsfall wird beispielsweise angeführt:

"Als es 2014 zur Annektierung der Halbinsel Krim durch Russland kam, wurde auf Bundesebene politisch entschieden, die Zivile Verteidigung in Deutschland wiederaufzubauen."

Außerdem behauptet das "Faktenblatt":

"Spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat sich die Gefährdungslage Deutschlands massiv verändert."

In der Perspektive des Berliner Senats gerät dabei nahezu jede potenzielle kleinere oder größere Gefahr zu einem Sicherheitsproblem, das sich zu einer "Krisen- und Bedrohungslage" für die gesamte Gesellschaft entwickeln könnte:

"Die aktuell zu berücksichtigenden Krisen- und Bedrohungslagen sind sehr komplex und vielfältig – sie reichen von Pandemien, Wetterkatastrophen wie z.B. Hitzewellen, Hochwasser oder Überschwemmungen, aber auch Bedrohungen durch Cyber- und Terrorangriffe, Angriffen auf kritische Infrastruktur, hybriden Bedrohungslagen bis hin zu möglichen militärischen Konflikten, z.B. durch Auslösen des NATO-Bündnisfalls."

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de.rt.com/gesellschaft/250975-…

Fleiß um jeden Preis: Die ARD und der verordnete Arbeitswahn


Von Susan Bonath

Was fiele wohl mehr ins Gewicht: Wenn für einen Monat alle Minister, Regierungsbeamten und Unternehmensberater ausfielen, oder für den gleichen Zeitraum alle unterbezahlten Pflege- und Reinigungskräfte streikten? Die Frage, die einst der Kabarettist Volker Pispers so ähnlich einmal formulierte, lässt sich relativ leicht beantworten: Während die Mehrheit Ersteres vermutlich kaum mitbekäme, wenn nicht die Tagesschau darüber berichtete, träte im letzteren Fall das pure Chaos und Schlimmeres ein.

Man könnte auch Folgendes fragen: Wer schadet der Bevölkerung eigentlich weniger: Ein vom Steuerzahler überbezahlter Kriegstreiber in der Politik, der dafür sorgt, dass immer mehr Staatsmilliarden in die Rüstungsindustrie sickern statt in Schulen und Krankenhäuser? Oder jemand, der keiner Lohnarbeit nachgeht, von 563 Euro plus Mietbeihilfe sein Dasein fristet und niemandem etwas zuleide tut? Auch hier kann der Punkt abseits von Polemik und etwaigen Neidgefühlen nur an Letzteren gehen.

Statt solche Fragen zu stellen oder das Wesen von Lohnarbeit und die Ursachen für Arbeitslosigkeit systemisch zu beleuchten, begründete das ARD-Magazin "Monitor" seine Kritik an der politischen und medialen Hetze gegen Arbeitslose mit hart ein-Euro-jobbenden Bürgergeldbeziehern. Es sang ein Loblied auf ihren Fleiß um jeden Preis als höchste Tugend des perfekten Lohnabhängigen. Die Botschaft: Seht her, die sind doch gar nicht alle faul, da gibt es welche, die ackern leidenschaftlich sogar für lau. So kann man auch das Geschäft der Hetzer und Spalter erledigen.

"Faulpelze" verhungern lassen

Beeindruckend sind die zusammengestellten Zeugnisse der Hetzkampagnen gegen Bürgergeldbezieher von ganz oben. "Diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, werden in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekommen", tönte etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der seine Karriere beim weltweit mächtigsten Vermögensverwalter BlackRock fürs höchste Amt ruhen ließ. Doch wer beurteilt eigentlich, wer genau was arbeiten können soll? Die Antwort liegt auf der Hand: Jobcenter-Angestellte.

Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spuckte Gift und Galle gegen Erwerbslose: "Der Staat geht davon aus, wenn jemand arbeiten kann, dass er auch arbeiten geht", polemisierte er bei Markus Lanz im ZDF. Die SPD als Juniorpartner lässt sich nicht lumpen und zieht mit: "Wer Grundsicherung bezieht und arbeiten kann, der muss mitziehen", trommelte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas im Bundestag. Die Geschichte vom arbeitsscheuen Bürgergeldempfänger ist auch in dieser Wirtschaftskrise Programm.

Lobgesänge auf Ein-Euro-Jobs

So nötig die Kritik daran, so herrschaftskonform sind die Schlüsse des Magazins: Es präsentierte ältere Ein-Euro-Jobber, die für die mickrige Aufwandsentschädigung von einem bis zwei Euro pro Stunde (ohne Anspruch auf Urlaub oder Ausgleich bei Krankheit) Arbeiten verrichten, für die sie angemessen entlohnt werden müssten. Darunter ist ein 64-Jähriger, der trotz Schmerzen bereitwillig mit schwerem Gerät Rasen trimmt und Hecken schneidet. Maßnahmen statt Arbeitsplätze: So sparen klamme Kommunen viel Geld.

Zu sehen ist eine 42-Jährige, die zu gleichen "Konditionen" in einem Caritas-Sozialkaufhaus jobbt, das es gar nicht bräuchte, wenn es keine Armut gäbe. Demütig lässt das Magazin sie in die Kamera sagen, dass es ihr "ja nicht ums Geld" gehe, "sondern darum, wieder eine Struktur zu haben." Aha, wer arbeitslos ist, gammelt demnach den ganzen Tag herum, wenn der Staat nicht nachhilft. Das hätte auch von Merz kommen können. Das Magazin zeigt überdies eine 48-Jährige, die 40 Wochenstunden in einem privaten Supermarkt auf Staatskosten ackert und einen 46-Jährigen, der seinem Ein-Euro-Job im Verkauf nachtrauert.

All das suggeriert zunächst mal Folgendes: Wer sich nicht so willig ausbeuten lassen will wie die Gezeigten, es aus verschiedenen Gründen vielleicht nicht kann, ja, den könne der Staat dann wohl verhungern lassen. Er muss nur ordentlich sortieren in "Fleißige" und "Faule". Faul ist demnach, wer solche Ausbeutung verweigert, vielleicht auch nur ein wenig lustlos dabei wirkt, den Lohnarbeitsfetisch zu preisen.

Entlassungswellen und Nutznießer

An dieser Stelle hätte "Monitor" mal auf die aktuelle Entwicklung schauen und sich fragen können: Was erwartet eigentlich die Tausenden von Arbeitern, die krisenbedingt kurz vor ihrer Entlassung stehen? Umschulungen sind dank der Dauersparprogramme in Deutschland schließlich Mangelware, insbesondere für Ältere. Ford will beispielsweise knapp 3.000 Stellen streichen, und Daimler 5.000. Und auch viele andere Unternehmen sind auf diesem Weg.

Sollen die Betroffenen dann alle für Ein-Euro-Jobs bereitstehen, wenn sie innerhalb eines Jahres nichts Neues finden? Und was sollen jene tun, die durch Ein-Euro-Jobber ersetzt werden? Auch ein-Euro-jobben? Die Spirale, die so was nach sich zieht, könnte lang werden, zumal das Angebot an neuen Arbeitsplätzen seit Monaten rapide schrumpft und private wie staatliche Nutznießer bekanntlich wie Pilze aus dem Boden schießen, wenn's auf diese Weise was zu gewinnen gibt.

Teurer Überwachungsapparat

Und so fällt das Resultat der öffentlich-rechtlichen "Kritik" dann wie erwartet aus: Der Staat müsse mehr Geld für "Eingliederung in den Arbeitsmarkt" ausgeben, auch für Ein-Euro-Jobs. Dass die Regierung seit Jahren an dieser Stelle das Geld zusammenstreicht, die Jobcenter die verbliebenen Mittel überdies in ihren überbordenden Verwaltungsapparat umschichten, kritisierte "Monitor" dann auch. Doch dass der Apparat nicht zuletzt so teuer ist, weil dort nicht nur gerechnet und vermittelt, sondern überwacht, bespitzelt, kontrolliert und bestraft wird, verschweigt das Magazin.

Angeblich, so behauptet "Monitor" dann weiter, seien die Ein-Euro-Jobs vor allem deshalb nötig, weil sie ein Sprung in den sogenannten "ersten Arbeitsmarkt" seien. Dass das nicht stimmt, ist aber längst belegt. Bereits 2008 berichtete unter anderem die taz, dass diese sogenannten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung laut einer Studie großflächig reguläre Stellen verdrängten, aber nur in zwei Prozent der Fälle zu einer festen Anstellung führten.

Lohnkosten sparen

Zu Hochzeiten dieser Beschäftigungsmaßnahmen hatte sich ein ganzes Netz aus Firmen entwickelt, die Ein-Euro-Jobber beschäftigten. Hunderte Euro, die diese pro Person vom Staat kassierten, landeten vor allem in ihren Taschen. Seit Jahren unterfinanzierte Kommunen ersetzten ihre regulären Arbeitskräfte in der Grünanlagen-, Park- und Denkmalpflege durch verpflichtete Hartz-IV-Arbeiter. Ob in Jugendclubs und Sportvereinen, Fitnesscentern und Sozialkaufhäusern, Stadtarchiven und der Forstwirtschaft: Überall mussten bezahlte Angestellte den neuen Billigstjobbern weichen. Böse Zungen sprachen von einem staatlichen Programm für Lohndrückerei.

Das war auch der Grund, warum der Staat diese Maßnahmen nach und nach zurückfahren musste. Wobei es trotzdem immer wieder neue Varianten davon gab, beispielsweise in Form von 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. Das schwebt der GroKo nun für alle Arbeitslosen vor, die nicht schnell genug einen neuen Job finden – und "Monitor" promotet das, gut versteckt hinter richtiger Kritik.

Abgründe des Sozialdarwinismus

Fest steht schon jetzt: Mit Merzscher Härte werden die Zeiten rauer für Lohnabhängige. Wer seinen Arbeitsplatz verliert und keinen neuen findet, weil er zu alt, zu krank ist oder keine Umschulung bekommt, darf sich dann auch als Faulpelz und Gammler beschimpfen lassen oder findet sich für ein, zwei Euro pro Stunde mit Heckenschere, Laubgebläse oder Schneeschaufel im Park wieder, wenn er überleben will.

Und wer weiß, vielleicht kommen ja Kanzler Merz und Co. auf die Idee, die Arbeitslosen in die Rüstungsindustrie zu zwingen, damit die Kriegswirtschaft den Euro für die Profiteure wieder rollen lässt? Oder wie wäre es in naher Zukunft mit einem Ein-Euro-Job im Schützengraben im Dienst "fürs Vaterland"? Der Abgrund des Sozialdarwinismus lässt noch einiges an Tiefe offen. Ob "Monitor" dann auch so "kritisch" dafür werden würde?

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de.rt.com/meinung/250747-fleis…

Neues Pariser Strategiepapier: "Offener Krieg im Herzen Europas" bis 2030


Von Elem Chintsky

Sobald der neue europäische Krieg für alle in der EU spürbar begonnen und jede Stellvertreterei aufgehört hat, wird es kaum jemanden mehr geben, der darüber überrascht sein oder sich wundern wird. Die Chronik solcher Art Ankündigungen seit Februar 2022 ist hierfür mittlerweile allzu überfüllt.

Der neueste Eintrag in dieser Chronik der Kriegsvoraussagen ist das französische Strategiepapier "Revue Nationale Stratégique 2025". Demzufolge könnte mittelfristig ein großangelegter militärischer Konflikt in Europa beginnen. Wortwörtlich heißt es im Dokument:

"In den kommenden Jahren sowie bis 2030 ist die größte Bedrohung für Frankreich und die Europäer das Risiko eines offenen Krieges im Herzen Europas."


Ohne eine strikte forensische Not zu empfinden, einer triftigen Beweislage gerecht zu werden, wird von einer russischen "Aggression" in den nächsten drei bis fünf Jahren ausgegangen. Ein Wortlaut, der mittlerweile auch dem gelegentlichsten aller Medienkonsumenten gängig sein sollte. Dieser mythisch anmutende Zeitraum wird geradezu mit der Gewissheit eines Fünfjahresplanes propagiert. Oft wurde die Frage bereits gestellt, weshalb Moskau die offensichtliche Schlaksigkeit der jetzigen EU nicht nutzt und den unbeholfenen Staatenbund nicht schon jetzt angreift – statt zu warten, bis Berlin und Paris voll gewappnet sind für eine breitangelegte militärische Konfrontation ihrerseits?

Das Vorwort für die "Revue" verfasste der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Die gerade laufenden Kriege in der Ukraine, im Sudan, zwischen Israel und Iran sowie was er als "Krieg im Gazastreifen" bezeichnet, seien allesamt "akuteste Symptome eines globalen Zusammenbruchs", welcher aber "Konstanten" aufweist.

Die primäre Konstante für die Europäer sei laut Macron eben "die Persistenz einer russischen Bedrohung an Europas Grenzen, einer dauerhaften Bedrohung, die organisiert und vorbereitet wird und der wir in Zukunft begegnen müssen. Für die Europäer ist dies letztlich der Ausgangspunkt für alles", so das französische Staatsoberhaupt. Das geostrategische Leitmotiv für Europa ist also erneut gesetzt: Russland bleibt der holistische Erzfeind.

Im Bericht der französischen Behörden selbst liest sich eine hypothetische Kette möglicher Ereignisse. Demnach gehe man davon aus, dass es sich dabei um offensive Aktionen der Russischen Föderation in Moldawien, auf dem Balkan oder gegen NATO-Staaten direkt handeln könnte. Mit dem Balkan könnte gemeint sein, dass Russland in der Kosovo-Frage Serbiens Schlichtungsversuche unterstützen würde. Mit "offensiven Aktionen in Moldawien" meinen die französischen Experten, die Energiekrise Transnistriens vereinfachen zu wollen. Denn Chișinău unter Maia Sandu hat seit 2022 kein russisches Erdgas mehr gekauft – Transnistrien hingegen erhielt Energielieferungen aus Moskau noch bis zum 31. Dezember 2025. Grund dafür war das Auslaufen des Transitabkommens zwischen der Ukraine und Russland. So ist die vom Westen als "russisch okkupierte", abtrünnige Republik innerhalb Moldawiens eine tickende Zeitbombe. Bereits jetzt ist ein steiler Abstieg der industriellen Leistung der Teilrepublik zu verzeichnen – Transnistrien gehen die Energieressourcen aus. Moskau ist vor einer Gabelung: entweder weiter tatenlos zuschauen, wie Transnistrien sehr bald von prowestlichen Kräften gewaltsam assimiliert wird, oder: erneut handeln – wie beim Donbass. Würde Russland intervenieren und die geografische Distanz zwischen sich und Transnistrien dramatisch kürzen, wäre das der perfekte strategische Vorwand für den Westen, erneut empört aufzuschreien und einen "unprovozierten, russischen Blitzkrieg ohne jegliche Vorgeschichte" zu behaupten.

Macron unterstreicht das, was auch der polnische Regierungschef Tusk und sein deutscher Kollege Merz in vielen Ansprachen bereits kommuniziert haben: Europa müsse sich unbedingt militärisch eigenständiger verwalten und darf sich nicht mehr einzig auf den Beistand der USA verlassen. Das korrespondiert auch symbiotisch mit Donald Trumps (eigentlich offener) merkantilistischer Geschäftsidee, die Europäer auf Russland zu hetzen – mit US-Waffen, die die EU vorher bei Washington D.C. eingekauft hat. Ehemalige US-Kosten für den Ukrainekrieg sollen laut der MAGA-Regierung nun in US-Profite konvertiert werden – zulasten der europäischen Volkswirtschaften, die sich bisher weigern, diesem selbstzerstörerischen Programm zu widersprechen.

Russlands Positionen – die Sicherheitsforderungen und Friedensbedingungen – haben sich in der gesamten relevanten Zeitspanne kaum geändert. Zudem hat der Kreml wiederholt betont, dass Russland keine nachvollziehbare Bedrohung für Europa darstelle. Staatsoberhaupt Putin bezeichnete westliche "Fiktionen" über Russlands Pläne, die NATO anzugreifen, als Unsinn, Wahnvorstellungen und "Angstmacherei für die Bürger". Gleichzeitig bemerkte er, dass diese "Fabeln" im Westen verbreitet würden, "um die eigene Bevölkerung zu täuschen". Auch wird damit darüber hinweggetäuscht, dass nahezu alle EU-Staaten mehr als genug innenpolitische Probleme haben. Dazu gehören die Abwanderung der Industrie, steigende Energiepreise und generelle Inflation, ein sabotiertes Rentensystem gepaart mit immer größerer Steuerlast, nicht mehr anzuhaltende oder zu tilgende Staatsverschuldung, eine Wohnraumkrise, nicht reformierbare Massenmigration und somit soziokulturelle Spannungen und Defizit getriebene Krankenkassen. Fast überall in der EU ist die unterschwellige Antwort dieselbe: Der Staat subventioniert, alimentiert und verstärkt seinen freiheitswidrigen Einfluss auf den einfachen Bürger und druckt mehr Geld bis der Schock von der Einführung des digitalen Euros und der damit einhergehenden Massenenteignung kommt. Die Vorzeigeantwort hingegen lautet, "Russland ist schuld an all dem – weshalb wir uns auf baldigen Krieg vorbereiten müssen".

Der Stille-Post-Effekt in der öffentlichen Kommunikation der beiden Blöcke, Russland und dem Westen, ist mittlerweile in den letzten Stadien seiner Verzerrung. Jede Mühe in Berlin, Warschau, Brüssel oder Paris, die russische Seite auch nur ansatzweise zu begreifen, ist abwesend. Aus dieser stillen Post ergeben sich nun zwei, kulturell leicht unterschiedlich formulierte Ultimaten. Putin erläuterte kürzlich, dass "es entweder ein souveränes Russland geben wird, oder gar kein Russland". Während Trump Russland 50 Tage gibt, um der Ukraine einen für das Kiewer Regime akzeptablen Waffenstillstand zu unterbreiten. Das eine ist getrieben von einer existenziellen Selbstbestimmung, während das andere von einem irrationalen Drang besessen ist, frühere Größe auf Kosten engster Verbündeter wiederzuerlangen. Mit den engsten Verbündeten der USA ist selbstverständlich die EU gemeint, die verblüffenderweise Trump wegen seiner oberflächlichen, soziokulturellen Meinungen verflucht – in seiner außenpolitischen Tollkühnheit (seine Israel- und Ukraine-Unterstützung betreffend) von den Europäern weitestgehend unhinterfragt verbleibt.

Dieser Cocktail namens "unüberbrückbare Differenzen" besteht aus prädiktiver Programmierung des NATO-Mediennetzwerks (wie im neuesten Strategiedokument Frankreichs erneut dargelegt) und einer europäischen Volksvertreter-Krise, in der die gewählten Staatsdiener gar keine eigene politische Hebelkraft oder moralische Handlungsfähigkeit mehr haben, sondern im Chor alten, parteiübergreifenden Machtinteressen dienen, die auf eine bestimmte, selbsterfüllende Prophezeiung hinarbeiten: auf einen unausweichlichen Krieg mit Russland, der mit einem strategischen Sieg des Westens enden soll. Etwas, was die Russen, Politologen wie Dmitrij Trenin – bei allem bisherigen guten Willen dem Wertewesten gegenüber – sich endlich begonnen haben einzugestehen. Immerhin sind auch die Deutschen endlich wieder bereit, Russen zu töten, wie der deutsche Verteidigungsminister kürzlich voller Zuversicht erläuterte. Das Timing könnte demnach nicht besser sein.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.

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