Wahlen in RumÀnien entlarven politische Tricks der EU
Von Geworg Mirsajan
Am 4. Mai hat in der ersten Runde der PrĂ€sidentschaftswahlen in RumĂ€nien der Vorsitzende der ultrarechten Partei "Allianz fĂŒr die Vereinigung der RumĂ€nen", George Simion, den Sieg davongetragen. Er erhielt fast 41 Prozent der Stimmen und behauptete:
"Diese Wahlen betreffen nicht den einen oder anderen Kandidaten, sondern jeden RumĂ€nen, der betrogen, ignoriert, erniedrigt wurde, doch der immer noch die KrĂ€fte hat, zu glauben und seine IdentitĂ€t und Rechte zu schĂŒtzen."
Mit Betrug, Ignoranz und Erniedrigung meint er ganz konkrete Ereignisse, nĂ€mlich die Annullierung der Ergebnisse der ersten Runde der PrĂ€sidentschaftswahlen im November 2024. Diese erfolgte allein deshalb, weil damals Simions Kollege aus dem ultrarechten Lager, CÄlin Georgescu, den ersten Platz belegt hatte. Das rumĂ€nische Gericht bezeichnete die Wahlen ohne jegliche Beweise als gefĂ€lscht und Georgescu fast schon als russischen Agenten. Darauf wurde eine neue Abstimmung angesetzt, zu welcher der Sieger der vorherigen nicht zugelassen wurde.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Georgescus WĂ€hler und der in Ungnade gefallene Politiker um Simion scharten. Letzterer tritt gegen militĂ€rische Hilfe an die Ukraine ein, kritisiert die EU-FĂŒhrung und sympathisiert mit dem US-PrĂ€sidenten Donald Trump.
Doch Georgescu und Simion sind keine völligen Gleichgesinnten. Simion lĂ€uft nicht Gefahr, mit dem Georgescu anhaftenden Etikett eines "prorussischen" Politikers belegt zu werden. Er leistet sich recht ausfallende ĂuĂerungen gegenĂŒber Moskau und behauptet, dass Russland "die gröĂte Bedrohung fĂŒr RumĂ€nien, Polen und die baltischen Staaten" darstelle.
Simion tritt zudem fĂŒr eine RĂŒckkehr "rumĂ€nischer" Territorien ein, die einst der UdSSR gehörten, darunter fĂŒr einen Anschluss Moldawiens an RumĂ€nien. Allerdings hat er das Kiewer Regime und ukrainische FlĂŒchtlinge nicht gern und baute daher seine Kampagne unter anderem um das Versprechen auf, finanzielle Leistungen fĂŒr ukrainische FlĂŒchtlinge zu kĂŒrzen. Ebenso negativ ist er gegenĂŒber dem BrĂŒsseler Regime eingestellt.
ZusĂ€tzlich verfĂŒgt George Simion ĂŒber Möglichkeiten, seine negative Einstellung in reale politische MaĂnahmen zu verwandeln. Es stimmt zwar, dass der rumĂ€nische PrĂ€sident nominell nicht regiert, allerdings leitet er den nationalen Sicherheitsrat. Und in dieser Position hat er die Möglichkeit, jede Entscheidung mit einem Veto zu belegen und die Sicherheitspolitik stark zu beeinflussen.
Daher haben westliche Medien jeden Grund, sich um einen Triumph von Simion in der zweiten Wahlrunde Sorgen zu machen. Die britische Zeitung The Guardian klagt:
"Ein Sieg der Ultrarechten könnte dazu fĂŒhren, dass RumĂ€nien, das an die Ukraine grenzt, von seinem prowestlichen Kurs abweicht und zu einer weiteren zerstörerischen Kraft innerhalb des Blocks und der transatlantischen Verteidigungsallianz wird."
Doch zum gröĂten Problem wird Simions Sieg fĂŒr die EuropĂ€ische Union. Nicht nur deshalb, weil der Versuch, die erste Wahlrunde aufzuheben, nicht die gewĂŒnschten Ergebnisse brachte, sondern auch wegen der Art und Weise, wie die zweite Wahlrunde durchgefĂŒhrt wird. Wie die FĂŒhrerin der französischen Ultrarechten, Marine Le Pen, sagte, ist RumĂ€nien zur EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wie ein Bumerang zurĂŒckgekehrt.
TatsĂ€chlich besteht das Problem fĂŒr die EU nicht nur und nicht so sehr darin, dass ein nichtsystemischer Kandidat in der ersten Wahlrunde den ersten Platz belegte. In Frankreich und den Niederlanden lernte man, dieses Problem mithilfe eines politischen Tricks zu lösen. Gewinnt etwa die niederlĂ€ndische Freiheitspartei die Parlamentswahlen, bilden die hinter ihr liegenden Parteien eine Koalition und bringen die "Radikalen" um ihr Mandat zur Regierungsbildung. Erfolgen die Wahlen â ob Parlaments- oder PrĂ€sidentschaftswahlen wie in Frankreich â in zwei Runden, so vereinigen sich in der zweiten Runde alle gegen den nichtsystemischen Kandidaten und lassen ihn nicht an die Macht.
FĂŒr ein solches Schema ist es nötig, dass der gegen den "Radikalen" kandidierende Politiker ein Zentrist ist und alle systemischen und systemnahen Stimmen um sich vereinigen kann. Elena Lasconi, die 2024 mit Georgescu in die zweite Runde kam, war keine solche Politikerin. Sie galt als eine Ultraliberale, fĂŒr die die Belange der EU ĂŒber RumĂ€niens Interessen standen.
Zwischenzeitlich ist Lasconi nicht in die zweite Runde gekommen, weil sie nur noch sieben Prozent der Stimmen erhielt. Anscheinend rechnete die Regierung damit, dass der Kandidat der regierenden Koalition, Crin Antonescu, die zweite Runde erreicht. Als Zentrist und Atlantiker hatte er alle Chancen, die WĂ€hlerschaft um sich zu scharen und einen Sieg Simions zu verhindern. Dies wĂ€re auch durch die Einschaltung administrativer Ressourcen möglich, denn die Regierungskoalition kontrolliert heute 75 Prozent aller rumĂ€nischen BĂŒrgermeister. Antonescu ist zwar als Regierungsvertreter mit dem Versuch, die Wahlen von 2024 zu stehlen, verbunden, allerdings halten bei weitem nicht alle RumĂ€nen diesen Versuch fĂŒr falsch.
Doch der Plan der rumĂ€nischen Regierung ging nicht auf, fĂŒr die WĂ€hlerschaft erwiesen sich die AutoritĂ€ten als zu toxisch. Den zweiten Platz belegte somit der BĂŒrgermeister von Bukarest, NicuÈor Dan, der Antonescu buchstĂ€blich mit einem halben Prozentpunkt Vorsprung ĂŒberholte.
Sicherlich ist Dan weniger abstoĂend als Lasconi. Nominell ist er ein zentristischer unabhĂ€ngiger Kandidat, der durch KorruptionsbekĂ€mpfung punktete und der im Ăbrigen einen Anschluss Moldawiens ablehnt. Doch gleichzeitig erscheint er nicht wie ein eindeutiger Favorit der zweiten Runde, der Stimmen gewinnen kann. Zu widersprĂŒchlich ist seine Person, und zu groĂ ist die Stimmendifferenz. Im Jahr 2024 gewann CÄlin Georgescu in der ersten Runde mit 23 Prozent der Stimmen und ĂŒberholte damit Elena Lasconi um knapp vier Prozent. Jetzt betrĂ€gt der Abstand von Simion zu Dan ganze 20 Prozent. Ein rumĂ€nisches Nachrichtenportal schreibt dazu:
"Noch nie in der Geschichte der rumĂ€nischen Demokratie wurde ein Kandidat, der die erste Runde mit einem Vorsprung von 1,9 Millionen Stimmen gewonnen hat â wie George Simion vor NicuÈor Dan â, in der Stichwahl gestĂŒrzt."
Der GroĂteil der WĂ€hler des drittstĂ€rksten Kandidaten, Victor Ponta, der 13 Prozent beziehungsweise 1,2 Millionen Stimmen erhielt, werde fĂŒr George Simion stimmen, mahnt die Publikation weiter.
Somit beginnt das Schema, "den eigenen Kandidaten in die zweite Runde zu bringen und alle systemischen Stimmen um ihn zu scharen", zu bröckeln, und zwar nicht nur in RumÀnien.
So erhielt bei den Lokalwahlen in GroĂbritannien am 1. Mai die Partei "Reform UK" von Nigel Farage den ersten Platz und gewann 677 Sitze. Den zweiten Platz belegten die Liberaldemokraten mit 370 Sitzen. Die gröĂten Systemparteien, die Konservativen und die regierende Labour-Partei, erhielten jeweils 317 und 98 Sitze.
Bisher weiĂ Europa nicht, was damit zu tun ist. Die Einschaltung administrativer Ressourcen, oder, um Italiens Vize-Premier Matteo Salvini zu zitieren, "schmutzige Tricks", funktioniert nicht mehr. Eine Konsolidierung der Stimmen um den "richtigen" Kandidaten in der zweiten Runde funktioniert nicht aufgrund der Abwesenheit des besagten Kandidaten. Somit muss sich BrĂŒssel entweder damit abfinden, dass die Zeit der europĂ€ischen Liberalen zu Ende geht, oder versuchen, durch hĂ€rtere, diktatorische MaĂnahmen an der Macht zu bleiben. Dies wiederum wird die eigentliche Existenz der EU infrage stellen.
Ăbersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 5. Mai 2025.
Geworg Mirsajan ist auĂerordentlicher Professor an der FinanzuniversitĂ€t der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er erwarb seinen Abschluss an der Staatlichen UniversitĂ€t des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut fĂŒr die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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