Ukrainische Angriffe auf russische FlugplĂ€tze â Was ist bis dato bekannt?
Wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte, wurden MilitĂ€rflugplĂ€tze in fĂŒnf russischen Regionen, darunter in Sibirien und im Fernen Osten, Ziel von koordinierten Drohnenangriffen, die von Kiew aus orchestriert wurden. PrĂ€sident Wladimir Selenskij nannte die Aktion "Operation Spinnennetz". Ukrainische Medien sprachen von einer groĂ angelegten Operation gegen die russische strategische Luftfahrt. Nach Angaben Moskaus wurden die meisten Angriffe jedoch frĂŒhzeitig abgewehrt, wobei es vereinzelt zu SachschĂ€den, aber keinen Opfern kam.
Die Ziele
Die betroffenen FlugplÀtze befinden sich im Gebiet Murmansk im Norden, in den Gebieten Iwanowo und Rjasan in Zentralrussland, im Gebiet Irkutsk in Sibirien und im Gebiet Amur im Fernen Osten, so das russische Verteidigungsministerium in einer ErklÀrung.
Nach Angaben ukrainischer Medien waren auf den FlugplĂ€tzen unter anderem russische strategische Bomber vom Typ Tu-95 und Tu-22M sowie ein FrĂŒhwarn- und Kontrollflugzeug vom Typ A-50 stationiert. Das russische Verteidigungsministerium hat dies nicht bestĂ€tigt und auch nicht bekannt gegeben, welche Flugzeugtypen auf den FlugplĂ€tzen stationiert waren.
Es war das erste Mal seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts vor gut drei Jahren, dass Kiew russische Einrichtungen in Sibirien und im Fernen Osten ins Visier nahm.
Angriffe
Alle Angriffe wurden mit sogenannten FPV-Kamikaze-Drohnen durchgefĂŒhrt (Drohnen, die aus der Ich-Perspektive gesteuert werden), so das russische Verteidigungsministerium. Die Behörde fĂŒgte hinzu, dass zumindest einige von ihnen aus Gebieten in unmittelbarer NĂ€he der FlugplĂ€tze gestartet wurden. AuĂerdem beschuldigte sie das "Kiewer Regime", "terroristische Angriffe" durchzufĂŒhren.
Nach Angaben ukrainischer und russischer Medien starteten die Drohnen von Lastwagen, die in der NĂ€he der FlugplĂ€tze geparkt und mit Containern beladen waren. Der Telegram-Kanal Shot veröffentlichte ein Video, das angeblich mehrere unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs) zeigt, die aus einem der Container im Gebiet Irkutsk fliegen. In dem Video sind Rauchschwaden in einiger Entfernung hinter dem Lastwagen zu sehen und SchĂŒsse zu hören. Ein Zeuge behauptet zudem, die Polizei habe versucht, eine der Drohnen abzuschieĂen.
Ein weiteres veröffentlichtes Video des Telegram-Kanals Shot zeigt eine Menschenmenge, die vergeblich versucht, die Drohnen mit Steinen zu bewerfen. Das Video wurde nach Angaben des Kanals ebenfalls im Gebiet Irkutsk aufgenommen.
Operation "Spinnennetz"
Die Angriffe waren Teil einer groĂ angelegten ukrainischen Operation, die auf die "strategische Luftfahrt" abzielte und den Codenamen "Spinnennetz" trug. Dies berichteten mehrere ukrainische Medien, darunter Channel 24 und RBK Ukraine, unter Berufung auf Quellen im nationalen Sicherheitsdienst (SBU) des Landes.
Der SBU bestĂ€tigte, dass sein Leiter Wassili Maljuk hinter der gesamten Operation steht. Als Beweis wurde ein Foto veröffentlicht, auf dem Maljuk auf Karten von offenbar fĂŒnf russischen FlugplĂ€tzen blickt. Der Sicherheitsdienst behauptete auĂerdem, dass etwa ein Drittel der russischen Marschflugkörper-TrĂ€ger bei den Angriffen getroffen worden seien.
Deutsche Medien, allen voran der Springer-Verlag, ĂŒbernahmen dabei die ukrainischen Darlegungen. Die Medienmeldungen lauten:
- Bild-Zeitung: "Ukraine-Drohnen zerstören Russen-Bomber: Ist das der Wendepunkt im Krieg?"
- Welt-Zeitung: "Kiews spektakulÀre Angriffe auf das Herz der russischen Armee"
- Der Spiegel: "Selenskij feiert 'Operation Spinnennetz' als 'absolut brillanten' Erfolg. Der Schlag gegen die russische Luftwaffe gehört fĂŒr den ukrainischen PrĂ€sidenten zu den gröĂten Coups des Krieges. Eine lange Planung soll ihn ermöglicht haben. Russland relativiert den Erfolg des Gegners."
- FAZ: "Vor GesprÀchen zerstört die Ukraine russische Flugzeuge"
Ukrainischen Medien zufolge bereitete der ukrainische Sicherheitsdienst demnach die Operation mehr als anderthalb Jahre lang vor und transportierte die Drohnen und beweglichen Container ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum nach Russland. Die Operation soll auch vom ukrainischen PrĂ€sidenten Wladimir Selenskij persönlich ĂŒberwacht und begleitet worden sein. Berichten zufolge sollen insgesamt 117 Drohnen bei den Angriffen eingesetzt worden sein.
Bedeutung und Folgen
In den Gebieten Iwanowo, Rjasan und Amur wurden die Angriffe nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums abgewehrt und fĂŒhrten zu keinerlei SchĂ€den oder Opfern. In den Gebieten Murmansk und Irkutsk hĂ€tten die Angriffe dazu gefĂŒhrt, dass einige Flugzeuge Feuer gefangen hĂ€tten, so die offiziellen Darlegungen.
Die BrÀnde wurden nach Angaben des russischen MilitÀrs umgehend gelöscht. Bei keinem der VorfÀlle gab es Verletzte, und das Verteidigungsministerium meldete keine Verluste von Flugzeugen als Folge der Angriffe.
DemgegenĂŒber berichteten ukrainische Medien zunĂ€chst, dass bei der Operation rund 40 Flugzeuge beschĂ€digt wurden, darunter mehrere strategische Bomber. Die russischen Behörden haben sich zu diesen Behauptungen nicht geĂ€uĂert. Nach den aktuellen Angaben aus ukrainischen MilitĂ€rkreisen seien mindestens 13 russische strategische Bomber, vor allem der Typen Tu-95 und Tu-22M3, zerstört worden. Russische und ukrainische OSINT-Blogger schĂ€tzen die Zahl der zerstörten Flugzeuge auf mindestens zehn.
Ermittlungen
Einige VerdÀchtige, die hinter den AnschlÀgen stecken, wurden festgenommen, teilte das russische Verteidigungsministerium mit, ohne die Zahl der Festgenommenen oder ihre IdentitÀt zu nennen.
Nach Angaben des Kanals Shot haben die russischen Ermittlungsbehörden die an den AnschlĂ€gen beteiligten Lastwagen mittlerweile identifiziert und wĂŒrden nun im Umfeld der Fahrer ermitteln. Mehrere Telegram-KanĂ€le, darunter Shot und Baza, berichteten auĂerdem, dass russische OSINT-Ermittler die Drohnen zu einem Lagerhaus im Gebiet Tscheljabinsk im sĂŒdlichen Ural zurĂŒckverfolgt haben.
Berichten zufolge haben Beamte des russischen Sicherheitsdienstes das betreffende Lagerhaus durchsucht und ermitteln nun gegen den EigentĂŒmer. Einige der an den Angriffen beteiligten Lastwagen sollen laut Telegram-KanĂ€len ebenfalls im Gebiet Tscheljabinsk registriert gewesen sein.
Misslungener Anschlag
Ein mit Drohnen beladener Lastwagen soll sein Ziel nicht erreicht haben, berichteten russische Telegram-KanĂ€le. Das Fahrzeug habe laut den BeitrĂ€gen auf einer StraĂe im Gebiet Amur Feuer gefangen und sei schlieĂlich explodiert. Ein Video soll den angeblichen Moment der Explosion zeigen.
Dieser Vorfall ereignete sich nach Angaben des Kanals Baza einen Tag vor der Operation. Einer der Container sei dabei in Brand geraten und habe die Explosion ausgelöst, so der Kanal. Der Fahrer des Lastwagens soll durch die Explosion zu Tode gekommen sein. Er habe zuvor das Fahrzeug angehalten, nachdem er bemerkt hatte, dass es brannte. Bei der Kontrolle des Laderaums kam es dann zur Explosion.
Zeitpunkt der AnschlÀge
Die AnschlĂ€ge erfolgten nur einen Tag vor der geplanten GesprĂ€chsrunde der russischen und der ukrainischen Delegation in Istanbul. Die beiden LĂ€nder wollten die zweite Runde der kĂŒrzlich wieder aufgenommenen direkten Verhandlungen abhalten, die drei Jahre lang ins Stocken geraten waren, nachdem Kiew die GesprĂ€che im FrĂŒhjahr 2022 einseitig abgebrochen hatte. In der ersten GesprĂ€chsrunde im vergangenen Monat hatten sich beide Seiten auf einen umfangreichen Gefangenenaustausch geeinigt, an dem jeweils 1.000 Kriegsgefangene beider Seiten beteiligt waren. Es wird erwartet, dass sie am Montag im Rahmen einer im Mai erzielten Vereinbarung FriedensvorschlĂ€ge austauschen werden.
Trotz der laufenden diplomatischen BemĂŒhungen um eine Beendigung des Konflikts hat die Ukraine in den letzten Wochen ihre Drohnenangriffe auf Russland erheblich ausgeweitet. Der russische AuĂenminister Sergei Lawrow hatte die Angriffe zuvor als Versuch bezeichnet, den Friedensprozess zu stören.
Die Angriffe ereigneten sich weniger als einen Tag nach der Zerstörung zweier BrĂŒcken in Russland, die von den Behörden als Sabotageakte bezeichnet wurden. Im Gebiet Brjansk stĂŒrzte eine ĂberfĂŒhrung auf eine Bahnstrecke, wobei nach Angaben des Gouverneurs sieben Menschen getötet und mindestens 69 verletzt wurden. Stunden spĂ€ter kollabierte eine EisenbahnbrĂŒcke im Gebiet Kursk unter einem fahrenden GĂŒterzug, wobei der LokfĂŒhrer und zwei HilfskrĂ€fte verletzt wurden.
Das russische Ermittlungskomitee erklĂ€rte, beide BrĂŒcken seien gesprengt worden, nannte aber keine VerdĂ€chtigen, die hinter den AnschlĂ€gen stehen. Der russische Senator Andrei Klischas machte Kiew fĂŒr beide VorfĂ€lle verantwortlich.
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