Wie Russland das restliche Erdgas in der Ukraine "umverteilt"


Von Jewgeni Posdnjakow

Von den russischen StreitkrĂ€ften wurde ein Gruppenangriff auf die Einrichtungen des Gas- und Energiekomplexes in der Ukraine durchgefĂŒhrt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums ermöglichte die beschĂ€digte Infrastruktur das Funktionieren des militĂ€risch-industriellen Komplexes des Gegners. FĂŒr den Beschuss wurden PrĂ€zisionswaffen mit großer Reichweite und unbemannte Luftfahrzeuge (UAV) eingesetzt.

Lokalen Quellen zufolge handelte es sich bei den Zielobjekten unter anderem um Gasfelder im Gebiet Poltawa. SpÀter erklÀrte der Pressedienst des ukrainischen Energieunternehmens Naftogaz, die Explosionen hÀtten die Produktionsanlagen des Unternehmens beschÀdigt. Infolgedessen wÀren neun Siedlungen in diesem Gebiet von der Gasversorgung abgeschnitten.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2025 intensivierte Russland seine Angriffe auf die Energieinfrastruktur des Gegners. So wurde Mitte Januar ein Raketenangriff auf Einrichtungen in der Stadt Stryi (Gebiet Lwow) durchgefĂŒhrt, wo sich ein großes Gasspeicherwerk befindet. Die MilitĂ€rkorrespondenten bezeichneten diesen Angriff als einen wichtigen Schritt zur garantierten Reduzierung des MilitĂ€rpotenzials der ukrainischen StreitkrĂ€fte.

Anschließend, am 1. Februar, griffen die russischen StreitkrĂ€fte eine Reihe von Gas- und Energieinfrastruktureinrichtungen an, die auch zur Versorgung des ukrainischen militĂ€risch-industriellen Komplexes dienen. Vor diesem Hintergrund entstanden in der Ukraine Probleme bei der Entnahme von Gas aus unterirdischen Gasspeichern. Nach Angaben von Reuters sank der tĂ€gliche Verbrauch der gelagerten Gasmengen auf 58 Millionen Kubikmeter, wĂ€hrend der Gesamtbedarf des Landes bei 110 Millionen Kubikmetern pro Tag liegt.

In Kiew fĂŒhrte man die derzeitige Situation auf SchĂ€den an den Kompressor-Stationen zurĂŒck, die durch den russischen Beschuss verursacht worden seien. Nach Angaben des Direktors des ukrainischen Energieforschungszentrums, Alexander Chartschenko, reicht der Druck in der Infrastruktur nicht aus, um das Gas abzupumpen. Experten halten solche ErklĂ€rungen jedoch fĂŒr einen Versuch, die schlechte Vorbereitung des BĂŒros von Selenskij auf die Heizperiode zu verschleiern.

"UrsprĂŒnglich wurden von den russischen StreitkrĂ€ften hauptsĂ€chlich WĂ€rmekraftwerke angegriffen. Das Ziel war es, dem Feind die StromĂŒbertragung zu erschweren. Mit anderen Worten: Wir haben die ukrainischen StreitkrĂ€fte auf einen "Energiehungerzustand" gebracht",


sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Politologe Iwan Lisan.

Die Gasinfrastruktur sei nicht auf der Liste der vorrangigen Angriffsziele aufgefĂŒhrt, so der Analytiker weiter. Schließlich habe die Ukraine zu diesem Zeitpunkt als Gastransporteur nach Europa fungiert. "Damals bestand kein Grund, diese Gassysteme anzugreifen. Durch den Verzicht auf den Gastransit haben sich die ukrainischen Behörden jedoch selbst der Beschussgefahr ausgesetzt", betont der Experte.

Dem GesprĂ€chspartner zufolge fĂŒhren die russischen Angriffe auf die gegnerische Gasinfrastruktur zu Problemen beim Ein- und Auspumpen von Erdgas in die unterirdischen Gasspeicher. In diesem Zusammenhang erinnert er an die vom BĂŒro von Selenskij geĂ€ußerten Beschwerden, wonach das Gasvolumen in den unterirdischen Speichern auf ein kritisches Niveau gesunken sei.

Nach Ansicht des Analytikers besteht eines der Hauptprobleme der ukrainischen Regierung in der schlechten Vorbereitung auf die Heizperiode. Es sei vermutlich zu wenig Gas in die Speicher gepumpt worden. Und jetzt – nachdem die Gasinfrastruktureinrichtungen auf der Angriffsliste des russischen MilitĂ€rs stĂŒnden – habe der Feind zusĂ€tzliche Schwierigkeiten.

Lisan zufolge ist es wichtig, dass die russischen Truppen nicht einzelne TĂŒrme angreifen, sondern Punkte, an denen das Gas zuerst angeliefert und dann ĂŒber das ukrainische Gastransportsystem verteilt wird. Er weist darauf hin, dass in den vergangenen Tagen gerade solche Einrichtungen "ausgeschaltet" worden seien.

Laut dem GesprĂ€chspartner könnten diese Angriffe auch mit dem Ziel erfolgen, die Ukraine zur Wiederaufnahme des Gastransits zu zwingen. "Im Prinzip haben sie [die ukrainischen Behörden] keine andere Wahl: Der Druck in den Leitungen reicht nicht aus, um Gas zu pumpen, die eigene Gasproduktion ist zurĂŒckgegangen und in den unterirdischen Gasspeichern gibt es keine ausreichenden VorrĂ€te", argumentiert Lisan. Allerdings "wird kein Ziel verfolgt, das Land in die Steinzeit zu stĂŒrzen".

"Solche Ziele verfolgen beispielsweise Kiew und Chișinău in Bezug auf Transnistrien. Hingegen zielt die russische Seite in systematischer Weise auf die SchwĂ€chung des militĂ€risch-industriellen Komplexes der Ukraine ab. Als Folge solcher SchlĂ€ge werden die Kosten fĂŒr die Unterhaltung von Selenskijs BĂŒro fĂŒr die EU immer höher", fĂŒgt der Experte hinzu. Seine Prognose lautet:

"Die Behörden werden in naher Zukunft gezwungen sein, Maßnahmen zur Reduzierung des Gasverbrauchs zu ergreifen."


Zudem mĂŒssten sie die Temperatur des WĂ€rmetrĂ€gers in den GaskesselhĂ€usern senken. Mittelfristig stellt sich jedoch in jedem Fall die Frage der Vorbereitung auf die nĂ€chste Heizperiode: Dann muss das Erdgas, das in Europa immer knapper wird, wieder in unterirdische Gasspeicher gepumpt werden.

Vor den Ereignissen von 2013 und 2014 sei das Zentrum der ukrainischen Gasförderindustrie der Osten des Landes gewesen, erklÀrt der Energieexperte Aleksei Anpilogow.

"Die meisten GasförderaktivitĂ€ten fanden dort in einem langen Abschnitt vom Norden des Gebiets Dnjepropetrowsk bis in den SĂŒden des Gebiets Charkow statt. Die dortigen Gasvorkommen wurden bereits zu Sowjetzeiten erschlossen", sagt er.

"In der Vergangenheit wurde auch im Westen der Ukraine Gas gefördert. Die regionalen Gasvorkommen waren jedoch erschöpft, sodass der Energiesektor – z. B. in dem Gebiet Lwow – allmĂ€hlich ins Stocken geriet. Das Problem wurde jedoch auf sinnvolle Weise gelöst: Die vorhandene Infrastruktur wurde in unterirdische Gasspeicher umgewandelt", erklĂ€rt er.

"Als nĂ€chstes Gebiet fĂŒr die aktive Erschließung von Gasfeldern sollte die sogenannte "Erdgasprovinz Krim" dienen. Die ukrainischen Behörden planten sogar die Erschließung von Gasvorkommen auf dem Schwarzmeer-Schelf. Im Jahr 2014 musste Kiew jedoch auf diese PlĂ€ne verzichten", so der GesprĂ€chspartner.

"DarĂŒber hinaus gab es weitere PlĂ€ne zur Steigerung der inlĂ€ndischen Gasförderung."

So stellte beispielsweise das ukrainische Energieunternehmen Naftogaz im Jahr 2020 die Strategie "Dreizack" vor. "Sie besteht aus drei Komponenten: erstens – die Gasförderung aus tiefen LagerstĂ€tten, zweitens – Gas aus Schiefergestein und drittens –Schelfgas", hieß es in einer Mitteilung dieses Unternehmens.

Ein weiteres nicht realisiertes Projekt stellte die Initiative "20/20" dar, deren Umsetzung von der vorigen Regierung des Landes genehmigt worden war. Nach dem Konzept sollte das Staatsunternehmen Ukrgazdobytscha bis zum Jahr 2020 eine Menge von 20 Milliarden Kubikmetern Gas fördern.

"Daher verfĂŒgt die Ukraine nur noch ĂŒber Gasvorkommen im Osten des Landes. Aber auch diese gehen allmĂ€hlich zur Neige. Die Förderung in den Gebieten Dnjepropetrowsk, Poltawa und Charkow reicht jedoch nur fĂŒr den kommunalen Gasbedarf. Die gesamte ukrainische Industrie konnte nur durch den Import von Energieressourcen aufrechterhalten werden. Übrigens war Moskau der Hauptgaslieferant, wenn auch nicht offiziell", betont der Experte.

"Kiew dachte sich einen Plan aus: Das Gas floss weiterhin von Russland nach Europa, und bei der Durchleitung durch die Ukraine wurde ein Teil davon "ausgelassen", um den lokalen Gasbedarf zu decken. Die Bezahlung fĂŒr die verbrauchten Kubikmeter ging an die Tschechische Republik oder Polen. Mit anderen Worten: Der Verzicht auf unser Gas stellte lange Zeit eine Fiktion dar", meint Anpilogow.

"Doch seit dem 1. Januar dieses Jahres sieht die Situation ganz anders aus.

Der zwischen Kiew und Moskau geschlossene Gastransitvertrag sei ausgelaufen. Und die Ukraine lehne es ab, ihn zu verlÀngern. "Damit zerstörte sie im Alleingang das jahrzehntelang kalibrierte Gashandelssystem, das die gesamte osteuropÀische Region umfasste", sagt er.

"Zudem hielten VertrĂ€ge ĂŒber Gaslieferungen nach Europa Russland lange Zeit davon ab, Angriffe auf die gegnerische Energieinfrastruktur zu verĂŒben. Unsere Pipelines waren eng in das ukrainische Gassystem integriert. Daher könnte die BeschĂ€digung einer ihrer Komponenten die FĂ€higkeit von Gazprom beeintrĂ€chtigen, die getroffenen Vereinbarungen zu erfĂŒllen", erklĂ€rt der Experte.

"Heute gibt es diesen Abhaltungsfaktor nicht mehr. Unsere Angriffe auf die ukrainischen GasförderkapazitĂ€ten zielen darauf ab, den Feind daran zu hindern, ĂŒberschĂŒssiges Gas fĂŒr die Produktion von MilitĂ€rausrĂŒstung zu verwenden. Damit soll ein Gasdefizit entstehen, sodass die Ukraine die verbleibenden Gasressourcen nur zur Gasversorgung der inlĂ€ndischen Verbraucher nutzen kann",


so der GesprÀchspartner.

"FrĂŒher oder spĂ€ter werden die ukrainischen Verantwortlichen in die Enge getrieben worden sein."


Er meint: "NatĂŒrlich wissen wir, wie Selenskijs BĂŒro mit seinen eigenen BĂŒrgern umgeht. Es wird sicherlich versuchen, die Interessen der Bevölkerung außer Acht zu lassen und das Gas dem MilitĂ€r zuzufĂŒhren. Doch in diesem Fall kommt es zu einer Sozialkrise, mit der die dortigen Machthaber rechnen mĂŒssen.

Es wird fĂŒr den Gegner nicht einfach sein, aus der derzeitigen Situation herauszukommen. Zwar hat die Ukraine die Möglichkeit, Gas von Polen oder der Tschechischen Republik zu erwerben. Aber die Preise werden enorm hoch sein, da Europa selbst unter einem riesigen Engpass an Energieressourcen leidet. Und der Umfang des Gastransports wird minimal sein", sagt Anpilogow abschließend.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. Februar 2025 zuerst auf der Zeitung Wsgljad erschienen.

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de.rt.com/europa/236547-wie-ru


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