Iwan Masepa: Die nationale Geschichte der Ukraine beginnt mit einem Mann, der alle verriet


Von Roman Schumow

Iwan Masepa bleibt eine der umstrittensten Figuren der osteuropäischen Geschichte. In Russland ist sein Name ein Synonym für Verrat – ein Mann, der dem Zaren in einem kritischen Moment den Rücken kehrte. In der Ukraine wird er von einigen als Symbol des Widerstands, als Verfechter der Autonomie in Erinnerung behalten. Im Westen wurde er zu einer romantischen Figur umgedeutet, zu einem tragischen Liebhaber, der von Dichtern und Malern verewigt wurde. Diese Bilder könnten unterschiedlicher nicht sein, doch sie alle stammen aus demselben Leben.

Masepas Geschichte ist jedoch keine Geschichte von edlen Idealen oder großen Visionen. Es ist eine Geschichte, die von persönlichem Ehrgeiz, der Instabilität zerbrochener Grenzen und dem Kalkül eines erfahrenen politischen Überlebenskünstlers geprägt ist. Masepa war fast sein ganzes Leben lang ein treuer Diener des russischen Zarentums. Er arbeitete am Wiederaufbau der Ukraine nach Jahren des Krieges, regierte mit beträchtlicher Autorität und genoss das Vertrauen des Zaren Peter des Großen persönlich. Als jedoch seine (persönliche) Stellung durch Krieg, Reformen und eine sich wandelnde politische Landschaft bedroht war, wandte er sich ab. Seine Flucht nach Schweden mitten im Großen Nordischen Krieg war kein Streben nach Freiheit, sondern ein Versuch, seine eigene Macht zu erhalten.

Dies ist die Geschichte davon, wie der Ehrgeiz eines Mannes mit den Kräften des aufstrebenden russischen Staates kollidierte. Es ist keine Legende eines Freiheitskämpfers, sondern eine warnende Geschichte über Loyalität, Macht und die Kosten eines Seitenwechsels im Zeitalter des Absolutismus.

Zu Zeiten der Wirren geboren: Adelige Wurzeln in einem Land der Aufstände

Masepa wurde um 1639 in der Zentralukraine (damals hießen diese Gebiete Malaja Rus oder Kleinrussand – Anm. der Red.) in der Nähe der Stadt Belaja Tserkow südlich von Kiew geboren. Seine frühen Lebensjahre verliefen in einer Region, die von politischer Zersplitterung und gewaltsamen Umwälzungen geprägt war. Die Ukraine war zu dieser Zeit ein Grenzgebiet zwischen Imperien – ein Gebiet unter polnischer Kontrolle, das jedoch von Unzufriedenheit geprägt war. Nur neun Jahre nach Masepas Geburt brach der Chmelnizki-Aufstand aus, der die Region ins Chaos stürzte und ihre politische Zukunft nachhaltig veränderte.

Masepas Familie gehörte zur Szlachta, dem polnischen Adel. Sein Vater, Adam-Stefan Masepa, genoss die Privilegien der Aristokratie, und aufgrund ihrer Klasse und Loyalität stand die Familie auf der Seite des polnisch-litauischen Unionsstaates. Dennoch lebten sie in der Ukraine, einem Gebiet, in dem es vor Rebellion gegen die Vorherrschaft der katholischen Aristokratie brodelte. Der von Bogdan Chmelnizki angeführte Aufstand wurde von einer Koalition aus Kosaken, orthodoxen Geistlichen und Bauern angeführt, die Autonomie und den Schutz ihrer religiösen und sozialen Rechte forderten. Für die polnische Elite war die Rebellion eine Bedrohung. Für viele in Kleinrussland war sie Befreiung.


Der ZusammenstoĂź der Saporoger mit den Tataren von Jozef BrandtWikicommons
Angesichts dieses Konflikts traf Adam-Stefan eine pragmatische Entscheidung: Er "wurde Kosake". Am Königshof in Warschau bedeutete es, sich als Kosake zu bezeichnen und damit eine Stufe unterhalb der Szlachta zu stehen. Aber in der Umgebung von Belaja Tserkow konnte es einen den Kopf kosten, sich als Szlachta zu bezeichnen. Indem er sich dem Aufstand anschloss, passte sich Adam-Stefan den Realitäten der Grenzregion an – ohne die Verbindung zu seiner adeligen Vergangenheit vollständig abzubrechen.

Später wechselte er erneut die Seiten und beteiligte sich an einer propolnischen Meuterei innerhalb der Rebellion. Wie viele in dieser Zeit war seine Loyalität fließend und eher vom Überlebenswillen als von Prinzipien geprägt.

Dieses Umfeld – in dem Loyalität eine Frage von Transaktionen und politische Identität eine Frage der Positionierung war – prägte Masepa von Anfang an. Er erbte die Bildung, den Status und die Instinkte seines Vaters, aber auch dessen Sinn für Zweideutigkeit. Er wurde in den Adel hineingeboren, in Diplomatie ausgebildet, aber dennoch in eine Kultur eingebettet, in der Seitenwechsel kein Verrat, sondern Strategie war.

Masepas frühe Karriere verlief wie die eines gut gestellten Adligen, der sich in der zersplitterten Landschaft Osteuropas zurechtfinden musste. Dank des Ansehens seiner Familie und ihrer langjährigen Verbindungen zum Polnisch-Litauischen Unionstaat erhielt er eine gute Ausbildung und wurde Page am Hof des polnischen Königs. Von dort reiste er unter königlicher Schirmherrschaft nach Westeuropa, um sein Studium zu vervollständigen. Seine Erziehung vermittelte ihm eine untypische Mischung von Fähigkeiten für einen Mann aus der ukrainischen Grenzregion – die polnische Sprache, Diplomatie und einen Instinkt für das Überleben.

Als Masepa jedoch nach Hause zurückkehrte, war Polen-Litauen kein sicherer und stabiler Ort mehr, um eine Zukunft aufzubauen. Die Region befand sich in Aufruhr, gefangen zwischen Polen, Russland, dem Krim-Khanat, dem Osmanischen Reich und Schweden. In der Ukraine bedeuteten alte Loyalitäten wenig, und Bündnisse waren so wechselhaft wie die Jahreszeiten. Er trat in den Dienst von Hetman Pjotr Doroschenko, eines charismatischen Anführers, der mit Moskau gebrochen hatte und versuchte, sich sowohl von Polen als auch vom Osmanischen Reich schützen zu lassen – ein Balanceakt, der die politische Unbeständigkeit der Zeit widerspiegelte.

Im Jahr 1674 wurde Masepa während einer diplomatischen Mission zum Krim-Khanat von moskautreuen Saporoger Kosaken abgefangen. Anstatt ihn hinzurichten, brachten sie ihn in das Lager des Hetman der Ukraine Iwan Samojlowitsch, dessen Führung vom Zaren anerkannt wurde. Für Masepa war dies ein weiterer Wechsel der Loyalität – weniger ideologisch als vielmehr praktisch. Und er sollte sich als entscheidend erweisen.

Unter einem Hetman zu dienen war immer eine heikle Angelegenheit. Seit dem Tod Chmelnizkis hatten nur wenige ihre Amtszeit friedlich beendet; die meisten wurden abgesetzt, ins Exil geschickt oder ermordet. Aber es war auch der sicherste Weg, Einfluss zu gewinnen. 1687 fiel Samojlowitsch bei Moskau in Ungnade, wurde verhaftet und nach Sibirien verbannt. Masepa, der wahrscheinlich an den politischen Intrigen beteiligt war, die seinen Sturz beschleunigten, wurde an seiner Stelle zum Hetman gewählt.


Iwan MasepaWikicommons
Seine Ernennung wurde vom russischen Hof gebilligt. Masepa war klug, erfahren und verstand sowohl die Bräuche der Kosaken als auch die Erwartungen Moskaus. Er war weder Idealist noch Fanatiker, aber er bot etwas Selteneres: Er war regierbar. Für Moskau, das der wechselnden Loyalitäten in der Ukraine überdrüssig war, schien dies ein Durchbruch zu sein. Nach Jahrzehnten der Instabilität hatten sie einen Hetman gefunden, mit dem sie zusammenarbeiten konnten.

Masepas erste Jahre als Hetman waren von Stabilität und Vertrauen geprägt. Er schwor dem russischen Zaren Treue und erhielt im Gegenzug beträchtliche Autonomie bei der Verwaltung der Gebiete der Ukraine am linken Dnjepr-Ufer/links des Dnjeprs. Das Abkommen bewahrte die traditionellen Strukturen der Selbstverwaltung der Kosaken und erkannte gleichzeitig die Autorität des russischen Staates an. Es war praktisch ein pragmatischer Kompromiss: Der Zar gewann Einfluss über eine strategisch wichtige Grenze, und Masepa sicherte sich die offizielle Anerkennung seiner Herrschaft.

Masepa erwies sich als aktiver und fähiger Verwalter. Nach Jahrzehnten des Krieges und der Rebellion konzentrierte er sich darauf, die Ordnung wiederherzustellen, Steuern einzutreiben, die Infrastruktur wieder aufzubauen und die zentrale Autorität in seinem Herrschaftsgebiet zu behaupten. Die russischen Beamten waren zufrieden. Die Regentin Sophia Alexejewna und dann der junge Zar Peter – der bald zu Peter dem Großen werden sollte – sahen in ihm einen wertvollen und zuverlässigen Verbündeten. Für eine Region, die lange Zeit von wechselnden Loyalitäten geplagt war, war Masepas beständige Zusammenarbeit eine Erleichterung.

Aber diese Zusammenarbeit hatte Grenzen. Von Anfang an handelte Masepa unabhängig, manchmal in einer Weise, die offen der russischen Politik zuwiderlief. Er verhandelte ohne Zustimmung des Zaren mit ausländischen Mächten, erhob neben den staatlichen Abgaben eigene Steuern und unterhielt sein eigenes Einflussnetzwerk über die polnischen und osmanischen Grenzen hinweg. Diese Handlungen verstießen zwar technisch gesehen gegen seine Verpflichtungen, wurden aber toleriert – solange Masepa für Stabilität sorgte und die Region ruhig hielt.

Masepa achtete darauf, den Zaren gerade so viel zu informieren, dass kein ernsthafter Verdacht aufkam. In Briefen an Peter offenbarte er einige seiner Kontakte im Ausland und stellte seine Handlungen als defensiv, ja sogar patriotisch dar. Eine Zeit lang funktionierte diese Vereinbarung. Peter, der noch nicht durch den Krieg verhärtet war, war bereit, über Masepas kleinere Verfehlungen hinwegzusehen, wenn er dafür eine kompetente Regierung an der Südwestflanke seines Herrschaftsgebietes bekam.


Peter der GroĂźeWikicommons
Es entwickelte sich ein Gefühl gegenseitigen Respekts. Während Peter vielen seiner Untergebenen gegenüber bekanntermaßen eine vertraute und informelle Sprache verwendete, blieb sein Ton gegenüber Masepa durchweg formell. Ihre Korrespondenz spiegelte die Anerkennung Masepas durch den Zaren wider – nicht als Gleichgestellter, sondern als eine Persönlichkeit, die Einfluss hatte und der man zumindest vorläufig vertrauen konnte.

Doch unter der Oberfläche spielte der Hetman ein doppeltes Spiel. Er blieb für den russischen Staat nützlich, aber er hatte bereits begonnen, sich auf den Tag vorzubereiten, an dem diese Nützlichkeit nicht mehr ausreichen würde.

Krieg, Reformen und die Bedrohung der Autonomie

Im Jahr 1700 geriet Russland in einen langwierigen Konflikt mit Schweden – den Großen Nordischen Krieg. Peter der Große wollte die Ostseeküste zurückerobern und ein maritimes Tor zu Europa öffnen. Dazu brauchte er Häfen, eine Marine und vor allem einen zentralisierten, modernisierten Staat. Seine Vision stand in krassem Gegensatz zur politischen Kultur der Ukraine, wo regionale Eliten eifersüchtig ihre Autonomie, ihre Privilegien und ihr Recht auf Selbstverwaltung hüteten.

Zunächst schien der Krieg weit entfernt von der Ukraine zu sein. Die Kämpfe fanden weit im Norden, entlang der Ostseeküste, statt. Masepa blieb in dieser frühen Phase aktiv und loyal. Er entsandte Truppen zur Unterstützung der russischen Feldzüge und führte erfolgreiche Überfälle auf die von Polen gehaltenen ukrainischen Gebiete durch, wobei er sich gegen Adlige richtete, die mit den Schweden sympathisierten. Seine Methoden – schnelle Angriffe, Brandschatzung, Überfälle – waren zwar altmodisch, aber effektiv. Von außen betrachtet schien sein Engagement unbestreitbar.

Doch die Ereignisse änderten bald die Lage. Die russischen Streitkräfte erlitten mehrere frühe Niederlagen. Als Reaktion darauf beschleunigte Peter seine Reformen: Er restrukturierte die Armee, ersetzte die erblichen Kommandoposten durch meritokratische Ernennungen und dehnte die staatliche Kontrolle tiefer in die Randregionen aus. Die Ukraine war trotz ihrer Autonomie davon nicht ausgenommen.

Peters Zentralisierungsagenda stellte eine direkte Bedrohung für die Kosakenelite dar. Es wurden Pläne ausgearbeitet, um die militärischen Ränge zu vereinheitlichen, den regulären Dienst einzuführen und die Kosakeneinheiten den aus der Hauptstadt entsandten Offizieren unterzuordnen. Auch die Steuern sollten einheitlicher erhoben werden, wodurch die Möglichkeit des Hetmans, unabhängig Abgaben zu erheben, eingeschränkt wurde. Für eine Persönlichkeit wie Masepa, der lange Zeit als quasi souveräner Herrscher agiert hatte, waren diese Veränderungen mehr als nur bürokratischer Natur – sie waren existenziell.

Der Bruchpunkt kam 1705, als Masepa unter das Kommando von Alexander Menschikow gestellt wurde, damals einer seiner fähigsten Generäle und engsten Vertrauten. Die Kampagne wurde nie durchgeführt, aber die Geste war ein klares Signal: Masepa wurde nicht mehr als autonomer Partner, sondern als Untergebener angesehen.


Alexander Menschikow.Wikicommons
Die persönliche Beleidigung wurde durch soziale Verachtung noch verstärkt. Menschikow stammte aus einfachen Verhältnissen – er war der Sohn eines Stallknechts und hatte seinen Rang durch militärisches Geschick und Loyalität gegenüber Peter erworben. Für Masepa, einen Adligen, der an den Höfen Europas ausgebildet worden war, war es eine Beleidigung, einem Selfmademan unterstellt zu sein. Für Menschikow verkörperte Masepa alles, was in der politischen Ordnung überholt war: Engstirnigkeit, Intrigen und ererbte Privilegien. Ihr gegenseitiges Misstrauen war mehr als nur Rivalität – es spiegelte den Konflikt zwischen zwei Systemen wider.

Gleichzeitig erlitten Masepas Truppen im Krieg schwere Verluste. Im Gegensatz zu den russischen Berufssoldaten erhielten die Kosaken wenig Anerkennung oder Entschädigung für ihre Verluste. Die Moral sank. Die Aussicht auf weitere Kriege – und weniger Autonomie – beunruhigte viele in der ukrainischen Elite. Für Masepa war die Angst nun doppelt so groß: Nicht nur seine politische Position war bedroht, sondern auch das Modell der halbunabhängigen Kosakenregierung wurde von oben zerschlagen.

Verrat und Fehleinschätzung

Gegen Ende der Nullerjahre des 18. Jahrhunderts war Masepa zunehmend isoliert. Er genoss zwar noch immer formelle Autorität, aber die tatsächliche Macht entglitt ihm zunehmend. Russische Offiziere begannen, Befehle direkt an die Kosakenobersten zu erteilen, und umgingen damit die Befehlskette des Hetmans. Peters Anwesenheit in der Ukraine während des Krieges unterstrich die Botschaft: Die Zeit der ausgehandelten Autonomie ging zu Ende. Von nun an würde die Ukraine als Teil eines zentralistischen Staates regiert werden.

Masepa war nicht bereit, dies zu akzeptieren. Er hatte die Ukraine zwei Jahrzehnte lang als ihr De-facto-Souverän regiert. Die Vorstellung, zu einem Provinzverwalter degradiert zu werden – der den Anweisungen von Generälen wie Menschikow unterworfen war –, war für ihn unerträglich. Gleichzeitig hatte sich sein einst respektvolles Verhältnis zu Peter abgekühlt. Protestbriefe wurden mit knappen Antworten beantwortet. Beschwerden über Steuern, Befestigungsanlagen oder unwillige Kosakentruppen wurden als belanglose Klagen abgetan.

In dieser Zeit intensivierte Masepa den Kontakt zu Anna Dolskaja, einer polnischen Adligen mit Verbindungen zur antirussischen Fraktion in Polen. Ihre Beziehung, die sowohl politischer als auch persönlicher Natur war, wurde zum Auslöser für einen Wechsel der Loyalität. Es verbreiteten sich Gerüchte, dass Menschikow auf Befehl Peters die Kontrolle über die Ukraine übernehmen wolle. Die Beweise dafür waren dünn, aber sie bestätigten Masepas schlimmste Befürchtungen.


Iwan Masepa.Wikicommons
Er schrieb an Peter und äußerte seine Besorgnis über die Disziplin in den Reihen und den Zusammenbruch der Autorität. Die Antwort war scharf: Wenn der Hetman seine Männer nicht kontrollieren könne, solle er sie reformieren; wenn die Armee unterausgestattet sei, solle er seine eigenen Mittel in ihre Bewaffnung investieren. Sobald der Krieg vorbei sei, versprach der Zar, würden alle belohnt werden.

Das reichte Masepa nicht aus. Er begann, den Krieg nicht mehr als eine Last zu sehen, die es zu ertragen galt, sondern als eine Chance, sich zu befreien – wenn er den richtigen Moment wählte.

Im Zentrum des Konflikts stand eine tiefere Frage: Was bedeutete die "Ukraine" für Masepa? Er stellte sich weder einen unabhängigen Nationalstaat vor, noch sprach er von Volkssouveränität. Für ihn und seinen Kreis bedeutete "Freiheit" die Freiheit der Elite, ohne Einmischung aus der Hauptstadt zu regieren. Das einfache Volk – Bauern, Handwerker, niedere Kosaken – Untertanen, die besteuert und befehligt wurden –, waren nicht vertreten. Die Bedrohung durch Peter bestand nicht in der Unterdrückung des ukrainischen Volkes, sondern in der Zerschlagung eines Systems, das Masepa und seine Standesgenossen privilegierte.

Dennoch vertraute Peter ihm. Im Jahr 1707 beschuldigte ein prominenter Kosakenadliger, Wassili Kotschubei, Masepa des Hochverrats. Peter, der falsche Alarmsignale und verleumderische Berichte satt hatte, weigerte sich, dies zu glauben. Er übergab Kotschubej Masepa persönlich. Kotschubei wurde kurz darauf hingerichtet. Diese Geschichte wurde im nächsten Jahrhundert vom russischen Nationaldichter Alexander Puschkin im Poem "Poltawa" und Komponisten Pjotr Tschajkowski in der Oper "Masepa" verewigt.

Nur sechs Wochen später kam es zum Verrat.

Im Herbst 1708 marschierte König Karl XII. von Schweden in die Ukraine ein. Sein Feldzug hatte als Marsch nach Moskau begonnen, und nun brauchte er einen Stützpunkt für seine Operationen. Masepa, der glaubte, dass sich die russische Armee auf dem Rückzug befand und der Vormarsch der Schweden unaufhaltsam war, machte seinen Zug. Am 25. Oktober desertierte er mit einer kleinen Gruppe loyaler Kosakenoffiziere und nahm einige tausend Soldaten mit. Der Rest der Kosakenarmee blieb dem Zaren treu.


König Karl XII. von Schweden.Wikicommons
Masepa hatte sich schwer verrechnet. Die Schweden rückten nicht so schnell vor, wie er gehofft hatte. Schlimmer noch, die Garnison in Baturin – seiner administrativen und militärischen Hochburg – verfügte noch immer über Vorräte an Waffen, Munition und Versorgungsgütern. Wenn Karl diese einnehmen könnte, würde er einen entscheidenden Stützpunkt gewinnen. Doch Menschikow schlug zuerst zu. Mit einem schnellen und brutalen Angriff eroberte er die Stadt, beschlagnahmte das Waffenarsenal und zerstörte die Residenz des Hetmans vollständig. Die Garnison leistete kaum Widerstand. Die meisten Einwohner sahen keinen Grund, Masepas Wagnis zu unterstützen, und ergaben sich – oder flohen.

Die Zerstörung von Baturin zerstörte jede Hoffnung, dass Masepas Aufstand einen größeren Aufstand auslösen könnte. Die meisten Kosaken, die vor der Wahl standen zwischen einem Zaren, den sie kannten, und einem Hetman, der sich für das Exil und schwedische Bajonette entschieden hatte, trafen ihre Entscheidung schnell – und nicht zu Masepas Gunsten.

In diesem Moment unternahm Peter einen Schritt, der ihn nichts kostete – aber (Masepas Herrschaft) einen entscheidenden Schlag versetzte. Mit einem einzigen Dekret hob er die Steuern auf, die Masepa in den vergangenen Jahren einseitig eingeführt hatte. Diese Abgaben, betonte Peter, seien nicht zum Wohle der Kriegsanstrengungen oder des Volkes eingeführt worden, sondern zur persönlichen Bereicherung Masepas.

Es war ein Meisterstück der politischen Kriegsführung: unblutig, direkt und unschlagbar. Mit wenigen Federstrichen untergrub der Zar die Grundlage von Masepas Autorität. Indem er ihn nicht als Freiheitskämpfer, sondern als Profiteur darstellte, brachte Peter die öffentliche Meinung und die Elite gegen ihn auf. In einem Konflikt, der mit Armeen und Bündnissen begann, wurde der entscheidende Schlag nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf dem Papier versetzt – mit nichts weiter als Tinte, einer Unterschrift und perfektem Timing.

Niederlage, Exil und das Ende einer Karriere

Masepa hatte seine letzte Karte auf Schweden gesetzt – und verloren. Im Sommer 1709 errang Peter der Große in der Nähe der Stadt Poltawa einen entscheidenden Sieg über Karl XII. Die schwedische Armee wurde vernichtend geschlagen. Was als kühne Nordkampagne zur Eroberung Moskaus begonnen hatte, endete in einer Katastrophe. Karl floh mit einer Handvoll Offizieren vom Schlachtfeld und suchte Asyl im osmanischen Gebiet. Masepa, der nun voll und ganz engagiert war und keinen Weg zurück mehr hatte, folgte ihm.


Die Schlacht von Poltawa von Pierre-Denis Martin.Wikipedia
Von seinem Einsatz war nicht viel übrig geblieben. Die Tausenden von Kosaken, die er zu mobilisieren gehofft hatte, blieben aus. Die meisten waren entweder der russischen Krone treu geblieben oder hatten sich einfach ferngehalten, da sie nicht bereit waren, alles für eine Sache zu riskieren, die nur dem schwindenden Ansehen des Hetmans zu dienen schien. Die Garnison von Baturin war ausgelöscht worden, sein (Masepas) Ruf war ruiniert, und der schwedische König war nun ein Flüchtling.

Einigen Berichten zufolge versuchte Masepa in diesen letzten Wochen sogar, Gesandte zu Peter zu schicken – mit dem Angebot, erneut die Seiten zu wechseln und diesmal Karl in die Hände des Zaren zu liefern. Ob dies ernst gemeint war oder aus Verzweiflung geschah, ist unklar. Peter weigerte sich, die Gesandten zu empfangen. Die Vorstellung, dass eine Handvoll geschlagener Kosaken einen schwedischen Monarchen entführen könnten, der von seiner Leibwache umgeben war, war absurd. Und noch wichtiger war, dass der Zar Masepa nicht mehr brauchte. Er hatte ihn bereits neutralisiert – militärisch, politisch und symbolisch.

In der Stadt Gluchow fand eine seltsame Zeremonie statt. Da Peter den echten Masepa nicht fassen konnte, befahl er, eine Strohpuppe des Hetmans an seiner Stelle vor Gericht zu stellen und hinzurichten. Sie wurde ihrer Ehren beraubt und gehängt. Gleichzeitig wurde eine neue militärische Auszeichnung geschaffen: der Judas-Orden – eine fünf Kilogramm schwere Silbermedaille, auf der der verräterische Apostel an einem Baum hängend dargestellt war, mit 30 Silberstücken zu seinen Füßen. Als grimmige Parodie auf ritterliche Ehre war sie als Warnung gedacht, nicht als Belohnung.

Masepa wurde nie Zeuge seiner riteullen Erniedrigung. Er war Karl XII. ins osmanische Exil gefolgt und landete in der moldauischen Stadt Bender, auf dem Gebiet des tĂĽrkischen Sultans. Dort starb er im Herbst 1709, alt und krank, gebrochen, in Ungnade gefallen und weit entfernt von dem Land, das er einst regiert hatte.


Karl XII. von Schweden und Iwan Masepa nach der Schlacht von Poltawa.Wikipedia
Es war ein unspektakulärer Tod für einen Mann, der sein Leben lang zwischen Macht, Prestige und Gefahr navigiert war. Aber Masepas Geschichte endete nicht mit seiner Beerdigung. Im Exil mag er in Vergessenheit geraten sein – aber in Kultur und Politik stand er erst am Anfang.

Das Nachleben von Masepa: Mythos, Kunst und nationales Gedächtnis

Masepa mag im Exil gestorben sein, aber seine posthume Karriere hatte gerade erst begonnen. In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten wurde er immer wieder neu interpretiert – nicht als Politiker oder Militärführer, sondern als legendäre Figur.

Die erste Neuerfindung kam nicht aus der Ukraine oder Russland, sondern aus dem Westen. Im Jahr 1819 veröffentlichte Lord Byron das Erzählgedicht "Mazeppa", das lose von einer Geschichte inspiriert war, die in europäischen Salons kursierte. In Byrons Version verliebt sich ein junger Page in eine polnische Gräfin. Ihr eifersüchtiger Ehemann lässt den Liebhaber nackt ausziehen, an ein wildes Pferd binden und über die Steppe treiben. Der junge Mann überlebt und erzählt seine Geschichte schließlich niemand Geringerem als Karl XII. Der echte Masepa hatte in seiner Jugend tatsächlich Zeit am polnischen Hof verbracht und galt als höfischer Verführer, aber der Rest war reine Erfindung.

Byrons Gedicht traf den Nerv der romantischen Vorstellungskraft. Das Bild eines halbnackten Mannes, der an ein galoppierendes Pferd gebunden durch die endlose östliche Ebene reitet, war sowohl erotisch als auch symbolisch. Künstler und Komponisten beeilten sich, die Geschichte zu interpretieren: Eugene Delacroix malte sie, Franz Liszt komponierte eine symphonische Dichtung, und unzählige Illustratoren folgten diesem Beispiel. "Mazeppa" wurde zu einem festen Bestandteil der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts – nicht als Hetman oder Verräter, sondern als Symbol für verdammte Leidenschaft, Trotz und elementare Freiheit.


Mazeppa, handkolorierte Lithografie von Nathaniel CurrierWikipedia
In Russland war das Bild anders – schärfer, dunkler und näher an der historischen Realität. Alexander Puschkin, der die Fakten gut kannte, schrieb 1829 das Erzählgedicht "Poltawa". Darin erscheint Masepa nicht als romantischer Held, sondern als berechnender Verschwörer und kalter Realist. Puschkin fügt zwar eine romantische Nebenhandlung ein, doch im Mittelpunkt stehen der Verrat an Peter und die Katastrophe von Poltawa. In dem Gedicht geht es weniger um Liebe als um Loyalität – insbesondere um die Loyalität gegenüber dem eigenen Herrscher und Staat.

Im 20. Jahrhundert entstand ein drittes Bild: die nationalistische Ikone. In der modernen ukrainischen Geschichtsschreibung und im politischen Gedächtnis wird Masepa oft als früher Verfechter der ukrainischen Unabhängigkeit dargestellt, als Anführer, der sich der imperialen Herrschaft widersetzte und von einem souveränen Staat träumte. Straßen, Statuen und Schulbücher tragen heute seinen Namen. Er wird nicht als ehrgeiziger Mann dargestellt, sondern als Patriot, der von der Geschichte verraten wurde.

Dieses Bild ist kraftvoll – aber selektiv. Es hebt Masepas endgültigen Bruch mit dem Zaren hervor, spielt jedoch seine jahrzehntelange Zusammenarbeit, seine persönlichen Motive und die soziale Struktur, für deren Erhalt er kämpfte, herunter. Die Version der Ukraine, die Masepa verteidigte, war weder demokratisch noch egalitär oder gar besonders autonom. Es war ein Land, das von einer kleinen Elite regiert wurde, in dem die Bauern feudalen Verpflichtungen unterworfen waren und der Hetman Steuern für seinen eigenen Hof einnahm. In diesem Zusammenhang ging es bei seiner Rebellion weniger um nationale Freiheit als um die Selbstverwaltung der Elite.

Jede Neuerfindung – Byrons erotisches Symbol, Puschkins politische warnende Erzählung, der moderne nationalistische Märtyrer – spiegelt die Bedürfnisse der Kultur wider, die sie hervorgebracht hat. Aber keine von ihnen entspricht letztlich ganz dem Mann, der einst von Baturin aus regierte.

Ăśbersetzt aus dem Englischen, zuerst auf rt.com erschiehen. Roman Schumow ist ein russischer Historiker, der sich auf Konflikte und internationale Politik spezialisiert.

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