EU nach Trumps "apokalyptischer Entscheidung": Ohne USA nicht handlungsfähig


Von Fjodor Lukjanow

Die am Freitagabend im Weißen Haus erfolgten dramatischen Ereignisse mit dem Ukrainer Wladimir Selenskij versetzten Westeuropa in eine äußerst schwierige Lage. Viele europäische Führer – deren Haltung gegenüber US-Präsident Donald Trump von "moderat bis stark skeptisch" variiert – hatten zuvor versucht, das traditionelle Transatlantikbündnis aufrechtzuerhalten. Sie drängten Washington zu einer solchen Lösung des Ukraine-Konflikts, die im Einklang mit europäischen Interessen steht. Doch der in der Öffentlichkeit ausgetragene Bruch zwischen Selenskij und Trump nahm ihnen diese Chance.

Ob zufällig oder gewollt, aber Selenskij erzwang von den USA eine Klarstellung ihrer Position: Washington ist ein Vermittler und keine Konfliktpartei. Seine Priorität ist es, die Eskalation zu beenden und für niemanden Partei zu ergreifen. Dies ist eine deutliche Abkehr von der vorherigen Politik, in der die USA eine westliche Koalition gegen Russland zur Unterstützung der Ukraine anführten. Die Botschaft ist klar: Für Washington ist die Unterstützung Kiews keine prinzipielle Position, sondern ein Instrument in einem breit angelegten geopolitischen Spiel.

Westeuropas eingeschränkte Handlungsspielräume

Es wurde zwar lautstark versichert, dass die EU die Ukraine "niemals im Stich lassen" werde, doch in Wirklichkeit fehlen ihr die erforderlichen Ressourcen, um die USA als wichtigsten Unterstützer Kiews zu ersetzen. Einen politischen Kurswechsel vorzunehmen, ist allerdings nicht so einfach. Der Preis für den Versuch, Russland zu besiegen, ist zu hoch und die wirtschaftlichen Verluste sind zu groß, sodass ein plötzlicher Politikwechsel die westeuropäischen Führer für ihre vorherigen Entscheidungen zur Rechenschaft ziehen würde. In der bereits von inneren Widersprüchen geplagten EU würde eine solche Kehrtwende den politischen Gegnern der EU-Führer in die Hände spielen.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Fortsetzung dieses politischen Kurses liegt darin, dass Westeuropa nach dem Kalten Krieg sowohl intern als auch im Umgang mit externen Partnern moralische Argumente als politisches Instrument einsetzt. Im Gegensatz zu traditionellen Mächten stellt die EU keinen Staat dar. Während souveräne Länder ihre Politik relativ einfach ändern und anpassen können, versinkt ein Staatenbund aus mehr als zwei Dutzend Mitgliedsstaaten zwangsläufig in Bürokratie. Die Entscheidungsfindung ist langsam, die Koordination ist ineffizient und die Mechanismen funktionieren oft nicht wie vorgesehen.

Jahrelang wurde in Brüssel versucht, diese strukturelle Schwäche in eine ideologische Stärke zu verwandeln. Die EU sollte trotz ihrer Komplexität eine neue Form der kooperativen Politik darstellen ‒ ein Modell, das in der ganzen Welt als Vorbild dienen sollte. Nun ist aber offensichtlich, dass dieses Modell gescheitert ist.

Bestenfalls kann es im kulturell homogenen Kern Westeuropas Bestand haben, aber selbst das ist zweifelhaft. Die Welt entwickelt sich weiter, die Ineffizienz bleibt jedoch bestehen. Dies macht den Traum von einem unabhängigen, autarken "Europa", einem Europa, das ohne amerikanische Aufsicht handlungsfähig ist, zu einer Utopie.

Anpassung an Washingtons neue Realität

Möglicherweise wird Westeuropa versuchen, die Turbulenzen der zweiten Trump-Präsidentschaft auszusitzen, wie es das während seiner ersten Amtszeit auch tat. Aber das Problem liegt nicht nur in Trumps Person. Der Kurswechsel in der US-Politik ist Teil einer tiefgreifenden politischen Neuausrichtung, die eine Rückkehr zum goldenen Zeitalter der 1990er und frühen 2000er Jahre verhindert.

Mehr noch: Gerade die Ukraine wurde zum Katalysator dieser politischen Wende. In dieser Situation kann sich die EU nicht abwartend verhalten. Ihre Führer müssen sehr zügig eine Entscheidung treffen, wie sie reagieren sollen. Wahrscheinlich werden sie versuchen, den Anschein der Solidarität mit Washington zu erwecken, und sich gleichzeitig an die neue US-Politik anpassen. Dies wird schmerzhaft sein, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Anders als in der Vergangenheit handelt das moderne Amerika ausschließlich im eigenen Interesse und nimmt wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner europäischen Verbündeten.

Ein Indikator für die sich verändernde Haltung Westeuropas könnte der bevorstehende Besuch des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz in Washington sein. Derzeit positioniert sich Merz als Hardliner. Doch wie die Erfahrung zeigt, könnte er seine Position bald ändern und sich dem neuen Kurs Washingtons anpassen.

Alternativ: Europa vs. Amerika?

Es gibt natürlich noch eine andere Alternative: Die EU könnte versuchen, sich zu einigen und Trumps Amerika entgegenzutreten. Doch angesichts des Mangels an kompetenter EU-Führung und der tiefen Spaltung innerhalb der Union selbst erscheint dies unwahrscheinlich. Zwar könnte die Ukraine als Vereinigungsfaktor für die europäische Solidarität dienen, aber die öffentliche Stimmung in vielen EU-Ländern macht dies kaum realisierbar.

Andererseits könnte die aggressive Art und Weise, auf die sich Washington nun in die europäische Innenpolitik einmischt ‒ durch die aktive Unterstützung Trump-freundlicher populistischer Bewegungen ‒, einen unerwarteten Effekt haben. Westeuropäische Eliten könnten sich gezwungen sehen, sich als Reaktion darauf zu konsolidieren, während Nationalisten, die gegen solche externen Einflussnahmen lange Zeit ankämpften, Schwierigkeiten haben könnten, sich gegen diese neue Realität zu positionieren.

Unabhängig vom letztendlichen Ausgang erleben wir eine interne Krise innerhalb des sogenannten "Kollektiven Westens". Auf dem Spiel steht die Idee der westlichen Einheit an sich. Historisch gesehen ist der politisch definierte "Westen" ein relativ junges Konstrukt, das weitgehend ein Produkt des Kalten Krieges ist. Und selbst damals war das Verhältnis zwischen der Alten und der Neuen Welt oft angespannt. In den 1940er und 1950er Jahren strebten die USA trotz ihrer Rivalität mit der Sowjetunion aktiv die Demontage der europäischen Kolonialreiche an und bekräftigten dabei ihre eigene Dominanz.

Westeuropas schwindender globaler Einfluss wurde damals durch eine stärkere Integration kompensiert. Heute bezeichnet Trump das europäische Projekt als gescheitert, aber jahrzehntelang sah Washington darin ein praktikables Mittel zur Optimierung der westlichen Politik und Wirtschaft unter amerikanischer Führung. Doch dieser Ansatz gehört heute der Vergangenheit an. Die USA sehen in einer starken und vereinten EU keinen Vorteil mehr, und sie scheuen sich nicht, dies zum Ausdruck zu bringen.

Sollten sich die westeuropäischen Führer tatsächlich zu einer Konfrontation mit Amerika entschließen, würde dies den Beginn einer neuen Epoche markieren ‒ einer Epoche, die das endgültige Ende des Kalten Krieges signalisieren könnte, der die westliche Politik jahrzehntelang prägte.

Russlands Perspektiven

Für Russland hat eine vereinte und koordinierte EU keinen strategischen Wert. Die Zeiten, in denen Moskau die Idee einer kontinentalen Integration – auch unter Einbeziehung Russlands – hegte, sind längst vorbei. Diese Illusionen wurden nicht nur durch den Lauf der Zeit, sondern vor allem durch die gewonnene Erfahrung zunichtegemacht.

Moskau konzentriert sich nun auf pragmatische Lösungen. Der interne Kampf innerhalb des Westens sollte ausschließlich aus der Perspektive betrachtet werden, welche konkreten Vorteile sich daraus ergeben können. Langfristige strategische Pläne sind in einer Zeit so rascher geopolitischer Veränderungen irrelevant. Im Moment geht es darum, entschlossen zu handeln und die aktuellen Kontroversen zu nutzen, um die Interessen Russlands inmitten der sich wandelnden Weltordnung zu sichern.

Übersetzt aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs "Waldai".

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