Kiew lehnt Istanbul und Frieden ab
Von Rafael Fachrutdinow
Der stellvertretende ukrainische AuĂenminister Sergei Kisliza hat mitgeteilt, dass sich das tĂŒrkische Format des Dialogs zwischen Moskau und Kiew "praktisch erschöpft" habe. Er fĂŒgte hinzu, dass "keine GesprĂ€che" auĂerhalb humanitĂ€rer Themen "in Istanbul stattgefunden haben", berichtete die Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Die Behauptung erfolgte, wenige Tage nachdem US-PrĂ€sident Donald Trump in einem Interview mit NBC News gesagt hatte, er wolle am Montag, dem 14. Juli, eine "wichtige ErklĂ€rung" ĂŒber Russland abgeben. Er nannte keine Einzelheiten, stellte aber klar, dass er "enttĂ€uscht" sei. Der Chef des WeiĂen Hauses sagte:
"Wir werden sehen, was in den nÀchsten Wochen passiert."
Wladimir Selenskij hatte zuvor an einer Konferenz ĂŒber den Wiederaufbau der Ukraine in Rom teilgenommen, an der auch Bundeskanzler Friedrich Merz, die italienische MinisterprĂ€sidentin Giorgia Meloni, der PrĂ€sident des EuropĂ€ischen Rates AntĂłnio Costa und die Leiterin der EuropĂ€ischen Kommission Ursula von der Leyen teilnahmen. Er traf auch mit Papst Leo XIV. und dem US-Sondergesandten fĂŒr die Ukraine, Keith Kellogg, zusammen.
Nach Angaben des Abgeordneten der Werchowna Rada, Alexander Dubinski, der sich wegen des Vorwurfs des Hochverrats in Untersuchungshaft befindet, lehnte Selenskij das Istanbuler Format unmittelbar nach seinem Besuch in Rom ab. Ihm zufolge hat die ukrainische Delegation ein "Billionen-Dollar-Projekt" nach Italien gebracht, das nichts mit der RealitĂ€t zu tun hat und darauf abzielt, die Bereitstellung von Geldern fĂŒr die Fortsetzung des Konflikts zu beschleunigen.
Gleichzeitig erwarte Ankara eine Antwort von Kiew ĂŒber den Zeitpunkt der nĂ€chsten GesprĂ€chsrunde, sagte der tĂŒrkische AuĂenminister Hakan Fidan. In seinem TelefongesprĂ€ch mit Trump erklĂ€rte auch der russische PrĂ€sident Wladimir Putin, dass Moskau bereit sei, die nĂ€chste Phase der Verhandlungen ĂŒber die Beilegung der Situation in der Ukraine abzuhalten.
Die ersten direkten GesprĂ€che zwischen Russland und der Ukraine seit mehr als drei Jahren fanden am 16. Mai 2025 in Istanbul statt. Die Delegationen kamen ĂŒberein, dass jede Seite ihre Vorstellungen von einem möglichen Waffenstillstand darlegen und im Detail erlĂ€utern wird. Beide Konfliktparteien vereinbarten auĂerdem den gröĂten Gefangenenaustausch, so die Zeitung RBC.
Das zweite Treffen fand am 2. Juni statt. Moskau legte seinen Entwurf eines Memorandums mit Friedensbedingungen vor. Die Ukraine hatte Russland bereits einige Tage zuvor einen Ă€hnlichen Entwurf vorgelegt. Die Parteien einigten sich auf einen weiteren groĂangelegten Gefangenenaustausch und versprachen auĂerdem, sich gegenseitig die Leichen mehrerer Tausend Toter zu ĂŒbergeben.
Der russische Entwurf sieht die NeutralitĂ€t der Ukraine und den Verzicht, MilitĂ€rbĂŒndnissen beizutreten, den atomwaffenfreien Status des Landes und die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland vor. Zudem schlĂ€gt er zwei Waffenstillstandsoptionen vor, von denen eine den RĂŒckzug des ukrainischen MilitĂ€rs aus den Regionen DVR, LVR, den Gebieten Saporoschje und Cherson sowie einen RĂŒckzug von den russischen Grenzen in einer zu vereinbarenden Entfernung vorsieht. Die zweite Option beinhaltet ein Verbot der Verlegung von Truppen, einen Mobilisierungsstopp und die Einstellung der auslĂ€ndischen MilitĂ€rhilfe fĂŒr Kiew.
Laut dem ukrainischen Dokument schlÀgt Kiew zunÀchst einen vollstÀndigen und bedingungslosen Waffenstillstand in der Luft, an Land und auf See vor. Die ukrainische Seite will zudem Sicherheitsgarantien von der internationalen Gemeinschaft und besteht darauf, dass die Territorien, die sie seit 2014 verloren hat, auf internationaler Ebene nicht als russisch anerkannt werden.
Der politische Analyst Wladimir Skatschko, Kolumnist der Online-Nachrichtenagentur Ukraina.ru, erklÀrte:
"Die Worte des Vertreters des ukrainischen AuĂenministeriums, Sergei Kisliza, zeigen die Zuversicht Kiews, dass der Konflikt mit Russland noch lange andauern wird und dass der Westen â vor allem die europĂ€ischen LĂ€nder â alles Notwendige dafĂŒr tun wird."
"Kiew und BrĂŒssel sind ĂŒberzeugt, dass sie die schwierige Zeit der PrĂ€sidentschaft von Donald Trump ĂŒberstehen werden. Sie erwarten auch, dass Europa in den kommenden Jahren seine militĂ€risch-technischen KapazitĂ€ten ausbaut und den quantitativen und qualitativen RĂŒckstand gegenĂŒber dem russischen militĂ€risch-industriellen Komplex verringert."
"Selenskij fĂŒhlte sich nach den seiner Meinung nach erfolgreichen Reisen durch Europa in Bezug auf die Hilfe fĂŒr die Ukraine und die Wiederherstellung der Infrastruktur des Landes sowie nach den GesprĂ€chen zwischen dem französischen PrĂ€sidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer wieder einmal gebraucht."
"All dies zusammen fĂŒhrte dazu, dass Kisliza so selbstbewusst von der Irrelevanz des Istanbuler Formats sprach. DarĂŒber hinaus rief der stellvertretende AuĂenminister die Ukrainer, die Angst vor einer Mobilisierung haben, dazu auf, selbst zu den territorialen Besatzungszentren zu gehen. Es ist, als wĂŒrde der Diplomat sagen: 'Seht ihr, der Westen ist mit uns, ihr braucht keine Angst zu haben.' AuĂerdem ist es eine Einladung der 'Kriegspartei' der EU und der USA, sich noch mehr zu vereinigen."
Stanislaw Tkatschenko, Professor der FakultĂ€t fĂŒr Internationale Beziehungen der Staatlichen UniversitĂ€t Sankt Petersburg und Experte des Waldai-Klubs, erklĂ€rte seinerseits:
"Kisliza bestĂ€tigt in der Tat, dass Kiew nicht die Absicht hat, das Territorium fĂŒr ein Friedensabkommen zu verĂ€ndern und dass die Ukraine den Konflikt bis zum siegreichen Ende fĂŒhren wird. Dem ukrainischen AuĂenministerium wurde kein anderer Befehl erteilt."
"Kiew ist offenbar optimistisch, was den Fortgang des Konflikts angeht, weil sich die EuropÀer angeblich durch Initiativen von Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs PrÀsident Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer zusammengerauft haben. Die Ukrainer glauben, dass diese Persönlichkeiten die europÀische Einheit wiederherstellen können."
"AuĂerdem sprach Trump 'ĂŒber die Frustration mit Russland', was Kiew als positives Signal fĂŒr sich interpretierte. Die ukrainische Diplomatie versucht, das Beste aus der Situation zu machen und gibt kategorische ErklĂ€rungen ab, die ihr weit mehr Gewicht verleihen, als sie tatsĂ€chlich hat."
"Ich denke, dass sich in den nĂ€chsten Tagen alles Ă€ndern wird, wenn klar wird, dass sich Trumps Position in Wirklichkeit in keiner Weise geĂ€ndert hat und dass seine 'wichtige ErklĂ€rung' zu den Russlandsanktionen unter Vorbehalt und mit Ausnahmen geĂ€uĂert werden und sie keine direkte UnterstĂŒtzung fĂŒr Kiew beinhalten. Dann wird deutlich werden, dass die EuropĂ€er nur in einer GesprĂ€chsform agieren können und nicht wirklich in der Lage sind, der Ukraine in irgendeiner Weise zu helfen."
"Kislizas ĂuĂerung entspricht den Interessen eines Teils des Establishments in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Italien und der Ukraine, widerspricht aber eindeutig den Erwartungen der Ăffentlichkeit in diesen LĂ€ndern und auch eines groĂen Teils der Ukrainer selbst. Es gibt eine offensichtliche KonfliktmĂŒdigkeit bei allen. In den letzten zwei Jahren gab es fast keine FĂ€lle, in denen ausgesprochene pro-ukrainische 'Falken' Wahlen in Europa gewonnen haben."
"Die Position Kiews widerspricht den Zielen des Istanbuler Formats, an dem die ukrainische Delegation beide Male von Washington zur Teilnahme gedrĂ€ngt wurde. Die Ukraine hat nicht einmal versucht, ihre Agenda fĂŒr die GesprĂ€che mit Russland irgendwie anzupassen. Selenskij sieht diese Treffen zu Recht als existenzielle Bedrohung fĂŒr sich selbst an, denn eine Einigung wĂŒrde das Ende des Konflikts und des ukrainischen Wahlkampfs bedeuten."
Ăbersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 13. Juli 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Rafael Fachrutdinow ist ein russischer Journalist.
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