Causa Le Pen: Französische Behörden bekÀmpfen die Opposition nach rumÀnischem Vorbild
Von Walerija Werbinina
Alea iacta est: Es ist gut möglich, dass der 31. MĂ€rz 2025 als der Tag in GeschichtsbĂŒcher eingehen wird, an dem das zeitgenössische Europa seinen Rubikon ĂŒberschritt. Am Vormittag erschienen die Vorsitzende des Rassemblement National und Abgeordnete der französischen Nationalversammlung Marine Le Pen und mehrere ihrer Mitstreiter als Angeklagte vor einem Pariser Strafgericht, um sich das Urteil in einer Strafsache gegen sie anzuhören.
Der Hauptvorwurf ist folgender: Den EU-Abgeordneten wurden fĂŒr die Bezahlung ihrer Assistenten bestimmte GeldbetrĂ€ge zur VerfĂŒgung gestellt. Nein, die Gelder wurden von den EU-Abgeordneten â einschlieĂlich Le Pens â nicht veruntreut, sondern, wie die Staatsanwaltschaft behauptet, zur Bezahlung von Arbeitsleistungen verwendet, die die Assistenten fĂŒr sie im Interesse des Rassemblement National und nicht fĂŒr das EuropĂ€ische Parlament erbrachten.
Kurz gesagt: Das EuropĂ€ische Parlament sei das Opfer, das sein Geld verloren habe, und die Europaabgeordneten seien BetrĂŒger und Schurken, die bestraft werden mĂŒssten. Dabei spielt es keine Rolle, dass der eigentliche Kern der Anschuldigung Ă€uĂerst nebulös ist und dass die Abgeordneten des EuropĂ€ischen Parlaments auch in ihren eigenen LĂ€ndern politisch tĂ€tig sind und ihre Assistenten die Arbeitsleistungen stets sowohl im Zusammenhang mit den innerparteilichen als auch mit den europĂ€ischen AktivitĂ€ten erbringen.
Erst vor wenigen Monaten standen der derzeitige Premierminister François Bayrou und einige Abgeordnete seiner Partei Mouvement dĂ©mocrate (MoDem) in einem Ă€hnlichen Prozess vor Gericht. Am Ende war Bayrou mit einem blauen Auge davongekommen, und seine Mitarbeiter waren zu Haftstrafen auf BewĂ€hrung und GeldbuĂen verurteilt worden. Aus diesem Grund glaubte wohl niemand vor der UrteilsverkĂŒndung, dass der Gerichtsprozess fĂŒr Le Pen anders ausgehen wĂŒrde.
Die Richterin verkĂŒndete das Urteil in aller AusfĂŒhrlichkeit, aber sobald Le Pen hörte: "FĂŒr schuldig erklĂ€rt", stand sie von ihrem Platz auf und verlieĂ den Gerichtssaal. Als AnwĂ€ltin war ihr wahrscheinlich klar, was als NĂ€chstes passieren wĂŒrde, und sie beschloss, an dieser fĂ€lschlicherweise "Gerechtigkeit" genannten Farce nicht teilzunehmen. Beim französischen Sender BFMTV, der die Geschehnisse aus dem Gerichtssaal live ĂŒbertrug, taten die Moderatoren ihr Bestes, um Ăberraschung vorzutĂ€uschen, obwohl es an der Situation nichts Ăberraschendes gab.
Le Pen stellte angesichts ihrer derzeitigen PopularitĂ€t eine zu groĂe Bedrohung sowohl fĂŒr Emmanuel Macron und seine AnhĂ€nger als auch fĂŒr die europĂ€ischen Machthaber in BrĂŒssel und generell fĂŒr all diejenigen dar, die Le Pens Ansichten als rechtsextrem und ihre Umfragewerte als unverdient betrachten. Die Einzelheiten des Schuldspruchs wurden vom Richter ganz zum Schluss bekannt gegeben, nachdem die SchuldsprĂŒche fĂŒr die anderen Abgeordneten des Rassemblement National verkĂŒndet waren: vier Jahre Freiheitsstrafe, von denen sie zwei mit einer elektronischen FuĂfessel verbringen muss und zwei zur BewĂ€hrung ausgesetzt werden, eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro und â was am wichtigsten ist â ein fĂŒnfjĂ€hriges Verbot, bei Wahlen zu kandidieren.
Der VizeprĂ€sident des Rassemblement National und BĂŒrgermeister von Perpignan Louis Aliot scheint etwas geahnt zu haben, denn noch am selben Morgen erklĂ€rte er, dass "die Justiz in Frankreich heute durch ein VergröĂerungsglas betrachtet werden muss" und "ich der Justiz nicht mehr traue".
Er selbst wurde letztendlich zu 18 Monaten Freiheitsstrafe (von denen er sechs Monate mit einer elektronischen FuĂfessel verbringen muss) und einem dreijĂ€hrigen Verbot, gewĂ€hlt zu werden, verurteilt. Andere Mitstreiter Le Pens wurden zu Ă€hnlichen Strafen und Geldstrafen verurteilt. Auch wenn ihre erzwungene Abwesenheit bei kĂŒnftigen Wahlen gewiss auch ein Verlust fĂŒr die Partei ist, stellt das Verbot fĂŒr Le Pen, zur PrĂ€sidentenwahl im Jahr 2027 anzutreten, den schwersten Schlag dar â und das ist natĂŒrlich auch der Grund, warum es verhĂ€ngt wurde.
Der PrÀsident des Rassemblement National Jordan Bardella schrieb dazu:
"Heute wurde nicht Le Pen zu Unrecht verurteilt, heute wurde die französische Demokratie hingerichtet."
Auch einer von Le Pens Mitstreitern, Vallerand de Saint-Juste, der in dem Strafverfahren mitangeklagt war, bemerkte:
"Das Gericht hat seinen politischen Willen zum Ausdruck gebracht: nicht den Willen des Gesetzes oder der Justiz, sondern den politischen Willen."
Der italienische VizeministerprĂ€sident Matteo Salvini schrieb in den sozialen Medien, dass das Geschehen "wie ein schlechter Film aussieht, den wir schon in anderen LĂ€ndern gesehen haben, zum Beispiel in RumĂ€nien". Die ErwĂ€hnung dieses Landes ist nicht zufĂ€llig: Im November 2024 hatte der Politiker CÄlin Georgescu die erste Runde der dortigen PrĂ€sidentschaftswahlen gewonnen, aber die Wahlergebnisse wurden umgehend unter fadenscheinigen VorwĂ€nden annulliert. In Wirklichkeit ist Georgescu bei den europĂ€ischen Eliten schlichtweg unbeliebt, da er als prorussisch gilt und sich zu unabhĂ€ngig verhĂ€lt.
Zwischenzeitlich wurde Georgescu sogar verhaftet, aber nach Protesten seiner AnhĂ€nger wieder freigelassen. Dann wurde ihm die Registrierung als Kandidat fĂŒr die zweite PrĂ€sidentschaftswahl verweigert, wodurch seine Siegchancen zunichtegemacht wurden. Denn die Demokratie ist nur fĂŒr diejenigen da, die den "richtigen" Standpunkt vertreten, fĂŒr diejenigen mit den "falschen" politischen Ansichten gilt sie nicht, und schon gar nicht in RumĂ€nien.
Genau dasselbe Prinzip â einen Politiker von der Wahl auszuschlieĂen, bei der er gewinnen und jemandem den Fahrplan verderben könnte â kommt im Fall Le Pen zur Anwendung. Wie in RumĂ€nien war auch hier die Justiz involviert. Bei allen Unterschieden blieb der Kern des Spiels derselbe: Egal, wie viel man ĂŒber Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit usw. redet, sie sind nur ein Deckmantel, um mehr als offenkundige machtpolitische Ziele zu verschleiern.
Solange das Rassemblement National in Frankreich die Rolle eines bloĂen Statisten spielte â oder gar eines SĂŒndenbocks, dem man einfach alles Mögliche in die Schuhe schieben konnte â, wurde es toleriert. Sobald es zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft wurde und Le Pen, die jetzt in Meinungsumfragen fĂŒhrt, zu einer ernsthaften Favoritin fĂŒr das Amt des französischen PrĂ€sidenten aufstieg, wurde ohne Zögern ein Radikalschnitt vollzogen. Laut einer Meinungsumfrage am Vorabend des Gerichtsverfahrens wĂŒrden 37 Prozent der WĂ€hler fĂŒr sie stimmen. Das kann kein Zufall sein.
NatĂŒrlich wird Le Pen in Berufung gehen und versuchen, das Urteil aufheben zu lassen, aber die Erfolgsaussichten sind gering. Und die Zeit arbeitet gegen sie. Viel interessanter ist jedoch die Frage, wer und in welchem Land das nĂ€chste Opfer eines als Gerechtigkeit getarnten politischen Gewaltakts sein wird.
Vor einigen Wochen hatten verschiedene Bundestagsabgeordnete gefordert, die Alternative fĂŒr Deutschland (AfD) zu verbieten, fĂŒr die â natĂŒrlich rein zufĂ€llig â zu viele Menschen ihre Stimme abgegeben hatten. WĂ€hrend die Vertreter der GrĂŒnen verlangt hatten, sie einfach zu verbieten, hatten die Abgeordneten anderer Fraktionen versucht, das Verfassungsgericht einzuschalten. Diese Fraktionen glaubten, dass das Gericht sicherlich einen Vorwand aufstöbern wĂŒrde, die AktivitĂ€ten dieser unerwĂŒnschten Partei fĂŒr verfassungswidrig zu erklĂ€ren.
Seitdem fanden Neuwahlen zum Bundestag statt, aber schon in den ersten Minuten des neuen Parlaments gingen alle anderen Partei auf Konfrontationskurs zur AfD, der zweitstĂ€rksten Partei bei diesen Wahlen. Und sobald ein plausibler Vorwand fĂŒr ein Verbot der AfD gefunden ist, wird man darauf ohne Zögern zugreifen. Sollte ein solcher Vorwand sich dagegen nicht bieten, wird man ihn schaffen und sei es, dass man dafĂŒr den Reichstag in Brand setzen muss, wie es ein politischer VorgĂ€nger der heutigen Demokraten einst tat. Hauptsache, man findet etwas, das man dieser Partei vorwerfen kann, alles weitere ergibt sich â wie der Fall Le Pen zeigt â von selbst.
Ăbersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. April 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
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