"Verhandlungen ohne Vorbedingungen": Putin hat europäisches Ultimatum zurückgewiesen


Von Alexej Danckwardt

Um zu verstehen, was in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag im Moskauer Kreml geschehen ist, muss man sich vergegenwärtigen, welcher Gegensatz im aktuellen diplomatischen Tauziehen um die Ukraine zentral ist.

Alles dreht sich um die Formulierung "ohne Vorbedingungen", die beide Seiten – Russlands einerseits, Kiew und seine europäischen Kolonialherren, die ihre 2014 erlegte ukrainische Beute einem hungrigen Raubtier gleich verteidigen – verwenden. Man muss jedoch genau hinhören, was die eine und was die andere Seite damit meint.

Wenn Offizielle in Moskau etwas "ohne Vorbedingungen" vorschlagen, dann ist es die Aufnahme direkter russisch-ukrainischer Verhandlungen. Genauer gesagt, deren Wiederaufnahme, denn diese Gespräche liefen bereits im Frühjahr 2022 und waren übereinstimmenden Berichten daran Beteiligter beider Seiten zufolge weit vorangeschritten, bevor Kiew sie mit Ermutigung Londons und Washingtons abbrach. Das damals bereits Ausgehandelte – Verzicht der Ukraine auf einen Beitritt zur NATO, Beschränkung des ukrainischen Militärs auf eine nur defensive Größe – will Moskau, korrigiert um die neuen territorialen Realitäten, zur Grundlage weiterer Verhandlungen machen.

Wenn Kiew und der Westen etwas "ohne Vorbedingungen" fordern, dann ist es ein 30-tägiger Waffenstillstand. Verhandlungen sollen erst danach beginnen, ohne jede Zusage zu deren Thematik, ohne Aussicht darauf, dass sie die Gründe des Konflikts – vor allem die existenzielle Gefahr, die von einer Expansion der NATO für Russland ausgeht – beseitigen. Vor allem aber ohne Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Warum der Westen, in erster Linie die Europäer, auf einem sofortigen Waffenstillstand beharren und ihn am Sonnabend gar in ultimativer Form forderten, ist durchsichtig. Die Ukraine steht militärisch unter massivem Druck, einige militärische Analysten sprechen sogar davon, dass Russland der ukrainischen Armee den K.-o.-Schlag bereits versetzt habe und ihr Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit sei. Letztere Einschätzung mag voreilig sein, doch unbestreitbar ist, dass eine sofortige Waffenruhe "ohne Vorbedingungen" ausschließlich in ukrainischem Interesse ist.

Wenn – wie von den europäischen Kolonialherren gewünscht – die Waffenlieferungen in der Zeit des Waffenstillstands weitergehen, dann kann die ukrainische Armee die 30 Tage nutzen, um sich neu aufzustellen, aufzurüsten und ihre Wunden zu lecken. Nach Wiederaufnahme der Feindseligkeiten, so der leicht durchschaubare Plan, würde sich die Lage an den Fronten damit zu ihren Gunsten umkehren. Ein Weg zum dauerhaften Frieden ist dies nicht. Er ist vielmehr vergleichbar damit, dass ein Boxkampf in dem Moment unterbrochen und um einen Monat ausgesetzt wird, in dem einem der Boxer der K.-o.-Schlag versetzt wurde und er benommen durch den Ring taumelt. Nach einem Monat beginnt schlicht ein neuer Boxkampf, mit offenem Ausgang.

Dabei sperrt sich Russland nicht grundsätzlich gegen einen sofortigen Waffenstillstand: Der russische Präsident hat bereits mehrmals die Bedingungen formuliert, unter denen Russland zustimmen könnte. Dies sind unter anderem eben die Einstellung der Waffenlieferungen für die vereinbarte Zeit und eine unparteiische Kontrolle der Einhaltung der Waffenruhe. Nicht erst die tausendfachen Verstöße der ukrainischen Armee während der diesjährigen dreifachen Versuche einer Feuerpause (Moratorium für Angriffe auf die Energieinfrastruktur, Waffenstillstand zu Ostern, Waffenstillstand zum Tag des Sieges) haben es gezeigt: Der Westen wird nicht nur keinen Druck auf Kiew zur Einhaltung der Vereinbarungen ausüben, er wird die Verstöße seiner Marionette nicht einmal "bemerken".

Das ist die grundsätzliche Linie des Westens seit über elf Jahren: Die prowestlichen Kräfte in der Ukraine dürfen alles – Terror, Menschenrechtsverstöße, Beschuss von Zivilisten, ungesetzliche Inhaftierungen, schlicht alles. Und alles mit Segen oder zumindest Stillschweigen der westlichen Unterstützer. "Es sind Bastarde, aber es sind unsere Bastarde" ‒ diese Philosophie des westlichen Imperialismus ist allen bekannt. So taten die westlichen "Garanten", darunter die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, bekanntlich gar nichts, um Kiew zur Umsetzung der Minsker Verträge zu bewegen. Wie wir heute wissen, all dies bewusst und zielstrebig: Für Europäer war und ist Diplomatie nur Mittel des Betrugs, um die russischen "Untermenschen" zu übervorteilen.

Daher ist es verständlich und mehr als fair, dass Russland einem Waffenstillstand "ohne Vorbedingungen" nicht zustimmen kann: Es wäre eine weitere Falle. Historisch betrachtet ist Moskaus Linie – erst Verhandlungen, dann alles Weitere – auch die einzig gangbare. Feindseligkeiten endeten in allen relevanten historischen Beispielen durch Verhandlungen, sie können nur als Ergebnis von Verhandlungen enden, es sei denn eine der Konfliktparteien wird vernichtend geschlagen. Nie und nirgends war eine Waffenruhe Vorbedingung für die Aufnahme der Verhandlungen ‒ wo Verhandlungen begannen (etwa in Vietnam), begannen sie während der Kämpfe und liefen zum Teil Monate und Jahre.

Ganz Russland schaute in der Nacht zum Sonntag gebannt auf den Kreml in Erwartung der um Stunden verzögerten Pressekonferenz von Wladimir Putin. Es waren nervenaufreibende Stunden. Spekulationen wucherten in sozialen Netzwerken: Wird sich der Präsident dem Ultimatum der Europäer beugen, wird er kapitulieren?

Am Morgen danach steht fest: Er beugte sich nicht und kapitulierte nicht, warum sollte er auch. Russland bleibt weiter bei seiner grundsätzlichen Position: Aufnahme von direkten russisch-ukrainischen Verhandlungen ohne Vorbedingung, für die es nun auch ein Datum und einen Ort gibt. Der Präsidentensprecher stellte inzwischen auch klar, dass der einseitige Waffenstillstand um Mitternacht ausgelaufen ist und nicht verlängert wurde.

Das Tauziehen geht also weiter, Ausgang nach wie vor offen. Der unverschämte Erpressungsversuch der Europäer wurde zurückgewiesen, US-Präsident Donald Trump nahm dem Ultimatum in der Nacht auch den Wind aus den Segeln. Der Ball ist jetzt aufseiten der Ukraine und ihrer europäischen Kolonialherren. Und erste Äußerungen Selenskijs deuten darauf hin, dass er von seiner sturen Haltung keinen Deut zurückweichen wird. Es werden wohl am Donnerstag die russischen Verhandler in Istanbul vergeblich warten.

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