Putin ist schuld! An allem! - Auch für die SPD


Von Dmitri Petrowski

"Hat die Katz' den Wurf verlassen?

Putins Schuld, ihn sollt ihr hassen!"


Das Gedicht, aus dem obiger (hier auf Deutsch nachgedichteter) Reim stammt, ist über zehn Jahre alt und dürfte heute zumindest in Russland niemandem mehr auch nur ein müdes Lächeln abringen. Jeder hier hat diese beiden Zeilen schon hundertmal gehört.

Doch das ist eben in Russland – wohingegen unter den Deutschen dieser Algorithmus, einer jüngsten SPD-Parteiveranstaltung nach zu urteilen, immer noch im Einsatz ist: Olaf Scholz hielt den Jahresparteitag ab – den ersten seit seiner vernichtenden Wahlniederlage. Und dort sagte er, die Alternative für Deutschland nutze geschickt die Meinungsverschiedenheiten in der deutschen Gesellschaft aus, schaffe ein Gefühl der Zukunftsunsicherheit bei den deutschen Bürgern. Daher bestehe, so Scholz, zwischen Russlands Staatsoberhaupt Wladimir Wladimirowitsch Putin und der AfD "emotionale Nähe".

Kurz zur Einordnung: Bei der letzten Wahl ergatterte die von Scholz geführte und bis dahin regierende Sozialdemokratische Partei 16,41 Prozent der Stimmen der beteiligten Wähler. Dies war das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Doch damit nicht genug: Die Sozialdemokraten holten sich nicht einfach nur die sprichwörtliche Watschenpackung ab – sondern sie verloren ihren zweiten Platz an die Alternative. Denn die AfD lag weniger als zwei Prozent hinter den Wahlsiegern von der CDU – die SPD hingegen sogar grob sechs Prozent. Und wenn ich Demokratie richtig verstehe, dann ist so etwas ja für einen Politiker normalerweise ein Weckruf, dass jetzt höchste Eisenbahn zum Nachdenken ist – über Fragen wie:

"Was tue ich hier eigentlich?"


Dann noch:

"Verstehe ich wirklich die Hoffnungen und Vorstellungen der Menschen, die ich vertreten soll?"


Und schließlich:

"Dieses vielberedte Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft – erzeuge ich das nicht eigenhändig?"


Aber nein. Das Protokoll belegt: Olaf Scholz hat, wie man es im staubtrockenen und mottenkugelmiefenden Funktionärsjargon der alten Tage ausdrücken würde, "auf Selbstkritik verzichtet". Die Nord-Stream-Katastrophe, die steigenden Energiepreise und die beispiellose Inflation, die Probleme mit illegaler Immigration, der Stellenabbau bei systemrelevanten Unternehmen, die Schließung von Fabriken und schließlich der Zusammenbruch seiner Regierungskoalition sowie das daraus resultierende vernichtende Wahlergebnis – alles kein Grund, an der Richtigkeit des eigenen Handelns zu zweifeln. Sondern es gilt weiterhin wie schon eh und je:

"Hat die Katz' den Wurf verlassen?

Putins Schuld, ihn sollt ihr hassen!"


Schauen wir uns nun die Alternative für Deutschland an. Sie wird oft als "prorussische Partei" bezeichnet – bei Unbedarften in Russland wird hiervor ein Pluszeichen gesetzt und in Deutschland ein Minuszeichen.

In Wirklichkeit ist diese Partei aber doch deutlich eher prodeutsch. Sie befürwortet die Aufhebung der antirussischen Sanktionen eben darum, weil das für Deutschland von Vorteil wäre. Sie ist für ein Ende der Unterstützung für die Ukraine – weil auch dies wiederum von Vorteil für Deutschland wäre. Sie tritt für mehr Unabhängigkeit Deutschlands und hierbei vor allem für weniger Abhängigkeit von Brüssel ein. Und um die Richtigkeit ihres Kurses zu beweisen, braucht sie dementsprechend auch keine rhetorischen Tricks und Marketingmaßnahmen – ganz nebenher zugegeben, ist sie in beidem auch gar nicht besonders stark. Sie war nicht für brillante Wahlkämpfe oder laute Statements bekannt ‒ und auch ihre Vorsitzende, die offen lesbische Alice Weidel, ist schon eine sehr ungewöhnliche Wahl für eine konservative Partei. Doch es genügt, den Durchschnittsdeutschen einfach einmal ans Fenster zu führen, um ihm zu zeigen, was draußen passiert, und dann die Stromrechnung zu zeigen – und schon sind gar keine weiteren Argumente nötig.

Olaf Scholz hingegen ist da offensichtlich anderer Meinung. Er glaubt wohl, das Volk sei einfach nicht brauchbar – und was besagtes Volk mit eigenen Augen sieht, gaukle dem Volk eben der Putin vor.

Doch selbst das wäre nicht so schlimm, wenn wir es mit einer echten Demokratie zu tun hätten. Dann würde die Beliebtheit der SPD unter einer solchen Führung eben weiter fallen, und nach Neuwahlen würde die AfD entweder im Ganzen gewinnen oder mindestens einer Regierungskoalition beitreten. Doch die Zeit der Demokratie in Europa scheint vorbei – und die jetzige Koalition in Berlin beharrt auf ihrem Wahnsinn. Und auf diesem Wahnsinn wird sie offensichtlich auch weiterhin beharren.

Übersetzt aus dem Russischen.

Dmitri Petrowski, Jahrgang 1983, ist ein russischer Roman- und Drehbuchautor sowie Publizist. Er studierte deutsche Philologie in Sankt Petersburg und Berlin, wo er ab dem Jahr 2002 lebte. Im Jahr 2018 kehrte er nach Russland zurück. Er arbeitete bei den Zeitungen Russkaja Germanija und Russki Berlin sowie als Programmdirektor bei einem russischsprachigen Berliner Radiosender und ist heute Kolumnist unter anderem bei RT und Life.ru.

Diesen Kommentar verfasste er exklusiv für RT.

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