Schwarz-Rot will jetzt das Wahlrecht "faesern"


Von Dagmar Henn

Die sich anbahnende Koalition aus CDU/CSU und SPD wird sicher nicht nur wegen des Billionenkredits im Gedächtnis bleiben. Nachdem man in den letzten Jahren unter der Ägide von Innenministerin Nancy Faeser schon einige Grundrechte geschrumpft hatte, scheint die MiniKo jetzt einen neuen, gravierenden Angriff zu planen ‒ auf das passive Wahlrecht.

"Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung", soll nach Meldung der Welt im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration" stehen. Zusätzlich soll der entsprechende Paragraf des Strafgesetzbuchs (StGB), § 130, noch weiter verschärft werden:

"Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen."

Die Welt selbst gibt sich weitgehend ahnungslos, was diesen Paragrafen angeht. "Wer wegen Volksverhetzung verurteilt wird, hat zuvor äußerst befremdliche Dinge gesagt", heißt es im entsprechenden Artikel. Die AfD zumindest, die viele als Hauptziel dieses Manövers sehen, hat verstanden, worum es geht. So Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher:

"Der Straftatbestand der Volksverhetzung dient in zunehmendem Maße gerade nicht dazu, den öffentlichen Frieden zu schützen. Er wird dazu missbraucht, bestimmte politische Meinungen, Auffassungen und Einordnungen ‒ und zwar ausschließlich in einer politischen Richtung ‒ zu diffamieren, zu unterdrücken und mit Geld- oder sogar Freiheitsstrafen zu sanktionieren. Diese vollkommen absurde Rechtsanwendung noch weiter auszubauen und nun zusätzlich das passive Wahlrecht davon abhängig zu machen, ist ein weiterer Versuch, unliebsame politische Meinungen aus den Parlamenten zu drängen."

Im Januar vergangenen Jahres, als zusammen mit der weitgehend erfundenen Correctiv-Erzählung auch eine Petition auf Campact forderte, dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke das passive Wahlrecht zu entziehen, hatte überraschenderweise die taz noch einen Kommentar gebracht, der einen solchen Schritt ablehnte:

"Wer Grundrechte für disponibel und entziehbar hält, ist bereits dem autoritären Denken verfallen und damit Teil des Problems, nicht der Lösung. Wer Höcke zudem das passive Wahlrecht entziehen will, macht die Demokratie lächerlich und gefährdet damit das, was wir doch alle verteidigen wollen."

Diese Überlegungen deuten einen wichtigen Punkt an: Wird einer Person das passive Wahlrecht entzogen, so richtet sich dieser Rechtsentzug nicht nur gegen den Betroffenen selbst, sondern auch gegen die möglichen Wähler, denen diese Möglichkeit damit genommen wird. Was eigentlich allein schon dafür sorgen sollte, dass das gerade im Zusammenhang mit einem Propagandadelikt wie gemäß § 130 StGB gar nicht erst erwogen werden sollte. Denn selbst jemand, der es für angemessen hält, etwas zu ahnden, was er für eine Straftat hält, sollte nicht die Rechte völlig Unbeteiligter beschränken.

Die Mainstream-Presse hat mit dieser Überlegung gar kein Problem, sieht darin eher eine lange herbeigesehnte "lex Höcke". Und es macht ja nichts, wenn man auf diese Weise die Kandidatenreihen mindestens der AfD lichten kann ‒ das wirkt schneller als ein Verbot, das man auch gern sähe, das aber Jahre in Anspruch nähme.

Doch mit der Wirklichkeit hat diese Sicht wenig zu tun. Sobald man etwas mehr darüber weiß, wie häufig und in welchen Zusammenhängen der vor wenigen Jahren noch weitgehend ungenutzte § 130 StGB angewandt wird, merkt man, dass es sich um einen weit umfassenderen Angriff auf das essenzielle passive Wahlrecht handelt.

Fangen wir mit Zahlen an. Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten nehmen viel Zeit in Anspruch, also liegt die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen noch nicht sehr hoch. Aber in Antwort auf eine Anfrage der Linken vom 30. November vergangenen Jahres antwortete das Faeser'sche Ministerium, unter den "rechtsextremen Straftaten" wären 5.097 Fälle von Volksverhetzung registriert worden. Aber da gibt es noch die Kategorie "sonstige Zuordnung", und dann gibt es den ganzen Berg, der inzwischen als "antisemitisch" einsortiert wird, selbst wenn semitische Palästinenser ein Ende der Besatzung ihrer Heimat gefordert haben. Man kann sicher von mindestens noch einmal fünfzig Prozent mehr ausgehen.

Aber was verbirgt sich nun hinter der "Volksverhetzung"? Das Erste, was man wahrnehmen kann, ist, dass die eigentlich in den Paragrafen geschriebene Beschränkung, "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", im Grunde keinerlei Anwendung mehr findet. Denn wenn Strafverfahren beispielsweise wegen Äußerungen in sozialen Medien geführt werden, spielt die Reichweite keine Rolle, die doch das Kriterium dafür sein müsste, ob "der öffentliche Frieden gestört" ist. Auch die Frage, wie lange eine Aussage überhaupt sichtbar war, wird nicht mit einbezogen. Es wird grundsätzlich so agiert, als sei der öffentliche Friede durch jede Äußerung gefährdet, die nicht dem Mainstream entspricht. Dabei ist der Trick bei der Anwendung dieses und anderen gegen die Meinungsfreiheit gerichteten Paragrafen, die Strafe genau so hoch anzusetzen, dass die Hinnahme billiger ist, als sich vor Gericht dagegen zu wehren.

Erst 2022 wurde der § 130 StGB verschärft. Es wurde ein neuer Absatz 5 eingefügt:

"Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art gegen eine der in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören."

Hoppla, könnte man meinen, da müsste es jetzt doch Strafverfahren gegen weite Teile der deutschen Medienlandschaft nur so hageln, die seit Ende 2023 schwer damit beschäftigt ist, die israelischen Verbrechen an den Palästinensern, die der Internationale Gerichtshof als sehr wahrscheinlichen Genozid klassifiziert, zu "billigen, leugnen oder gröblich [zu] verharmlosen". Aber bekanntlich ist dem nicht so. Gleichzeitig gibt es aber durchaus Verfahren, in denen Zweifel an der Darstellung der Ereignisse in dem ukrainischen Ort Butscha im Jahr 2022 als "Leugnung eines Kriegsverbrechens" verfolgt werden, obwohl die ukrainische Regierung bis heute, wie die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, gerade erst anmahnte, noch nicht einmal eine Namensliste der Opfer des vermeintlichen russischen Kriegsverbrechens veröffentlicht hat.

Es gab im November 2009 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Absatz 4 dieses Paragrafen, in dem es spezifisch um Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung von Naziverbrechen geht (auch dieser wird nicht gegen ukrainische Nazis eingesetzt). Das Urteil befasst sich mit der Frage, ob dieser Absatz verfassungsgemäß ist. Darin finden sich noch diese Sätze:

"Die Meinungsfreiheit gewährleistet, dass sich Gesetze nicht gegen rein geistige Wirkungen von Meinungsäußerungen richten. Das Ziel, Äußerungen wegen ihrer Unvereinbarkeit mit sozialen oder ethischen Auffassungen zu behindern, hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim. Das Grundgesetz rechtfertigt deshalb auch kein allgemeines Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts." Und weiter unten heißt es: "Der Schutz des öffentlichen Friedens ist hierbei in einem begrenzten Sinn als Schutz der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung zu verstehen, nicht aber als Schutz vor einer 'Vergiftung des geistigen Klimas' oder einer Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Der öffentliche Friede zielt auf einen vorgelagerten Rechtsgüterschutz, der an sich abzeichnende Gefahren anknüpft."

Die Begründung, warum der öffentliche Friede durch die Gedenkveranstaltung für Rudolf Heß, um die es in dem Verfahren ging, hätte gefährdet werden können, ist sehr konkret und schafft im Leitsatz explizit "eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze" für das "sich allgemeinen Kategorien entziehende Unrecht und den Schrecken, den die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat". Damals sah selbst das Bundesverfassungsgericht jenen Absatz 4, der allgemein unter "Holocaustverleugnung" bekannt ist, als eine durch extreme historische Ereignisse begründete Ausnahme, die aber dennoch eben klar als Ausnahme dargestellt wurde. Denn Meinungen "genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird".

Was ist nun vor dem Hintergrund dieses Urteils die derzeitige Praxis in der Anwendung des erweiterten § 130 StGB, wenn das damalige Urteil ein Sonderrecht nur, und ausschließlich, im Zusammenhang mit der Leugnung von Naziverbrechen "in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise" für verfassungsgemäß hält, heute aber auf Grundlage des weitgehend parallel konstruierten Artikel 5 genau das praktiziert wird, was das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009 noch grundsätzlich ablehnte? Und auch die mittlerweile übliche Sprache, wie in besagtem Arbeitsgruppenpapier, man wolle "Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen", auf keine Weise in Übereinstimmung mit der Aussage des Urteils ist, es könne gerade nicht um Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" gehen, und Meinungen dürften auch grundlos, emotional, wertlos und gefährlich sein?

So viel zum Stichwort Volksverhetzung. Die Vorsitzenden der DKP hatten damals gegen die Einführung des Absatzes 5 Verfassungsbeschwerde eingereicht und dazu erklärt:

"Es liegt auf der Hand, dass mit der entgrenzten Erfassungsweite des Gesetzes nahezu jede Äußerung zu einem beliebigen kriegerischen Konflikt stets unter dem Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung steht. Im Zweifel sollte man wohl besser den Mund halten. Als präventiver Maulkorb erfüllt das Gesetz seinen ihm von der Regierung beigelegten Zweck aufs Beste."

Im Zeitraum seitdem hat sich erwiesen, dass genau das dabei herausgekommen ist. Und exakt dieser Paragraf soll nun zur Grundlage einer Entziehung des passiven Wahlrechts werden? Womit die Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen, davon abhängig gemacht wird, dass auch die "richtige" Meinung vertreten wird?

Nein, das ist nicht übertrieben ‒ das ist eine Linie, die sich in der gesamten EU derzeit durchzusetzen scheint. Wenn in Rumänien die Kandidatur einer oppositionellen Kandidatin mit der Begründung abgelehnt wird, sie stelle sich gegen die EU und die NATO, dann wurde das in exakt der gleichen Form gegossen wie die Überlegungen, das passive Wahlrecht an publizistisches Wohlverhalten zu knüpfen. Denn das, was sich klein Erna unter "Volksverhetzung" vorstellen mag, eine flammende Rede vor einer erregten Menge, die daraufhin spontan Gewalttaten begeht, damit hat die tatsächliche Verwendung dieses Sonderrechts nichts, aber auch gar nichts zu tun.

In Rheinland-Pfalz wurden im Sommer vergangenen Jahres Ermittlungen gegen acht Osteuropäerinnen wegen § 130 StGB aufgenommen, weil die Gruppe, in der nur eine Frau überhaupt Deutsch verstand, an einem Aussichtspunkt "döp dödö döp" samt "Ausländer raus" gesungen hatte. Kein Scherz. Das sind die Straftaten, durch die man des passiven Wahlrechts verlustig gehen soll. Wie banal das ist, was bei einer weiteren Verschärfung als Anlass der Verfolgung genügt, wird sich erst nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags erkennen lassen.

Letztlich ist ein derartiger Eingriff in das Wahlrecht, wie ihn die neue Koalition plant, sogar einschneidender als das ebenfalls gewünschte AfD-Verbot, weil weitaus breiter anwendbar. Ja, im Grunde zwingt es jeden, der, aus welchem Grund auch immer, ins Visier des § 130 StGB gerät, seine Rechte bis in die letzte Instanz zu verteidigen, da ansonsten mehr oder weniger jederzeit eine politische Entmündigung droht ‒ irgendwas lässt sich schon finden. Aber wie das im heutigen Deutschland so ist, da, wo die Demokratie wirklich verteidigt werden muss, gegen eine feindliche Obrigkeit, finden sich nur noch wenige Stimmen.

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