Deutsche Professorin will weniger Rente für Frauen
Von Dagmar Henn
Früher hätte man vor Ostern in der Presse Artikel erwartet, die wenigstens vorübergehend das soziale Elend im Land sichtbar machen. Ostern und Weihnachten, das waren die Ausnahmephasen, in denen immerhin ansatzweise jene Teile der Wirklichkeit auftauchten, die sonst hinter dem Dogma vom wohlhabenden Deutschland verschwinden.
Nachdem inzwischen die Wahrnehmung der sozialen Realitäten im Kriegsgeschrei ertränkt wurden, geschieht jetzt das Gegenteil – es wird für soziale Einschnitte getrommelt. Quer durch die Medienlandschaft trommelt eine Frau (in diesem Zusammenhang muss es wohl eine Frau sein) namens Veronika Grimm für die Abschaffung von Witwen- und Mütterrente.
Grimm selbst, gerne als "Wirtschaftsweise" betitelt, muss sich natürlich keine Sorgen machen, sie ist gutbestallte Professorin, was eine ordentliche Pension sichert, und hat außerdem noch einige Vorstandsposten, die mit Sicherheit ein gutes Zubrot liefern. Das Leben ärmerer deutscher Frauen ist ihr so fern wie der Mond. Deshalb fällt es ihr auch überhaupt nicht schwer, solche Sätze zu liefern:
"Ich mache mir große Sorgen, bei der Rente tickt eine Zeitbombe. Statt die Mütterrente und Rente mit 63 abzuschaffen, was angesichts der alternden Gesellschaft notwendig wäre, verteilt die künftige Koalition nun neue Geschenke."
Und auch diese hübsche Aussage:
"Wenn Frauen sich darauf verlassen, dass sie im Alter von der Rente des Partners leben, senkt das den Anreiz für eigene Erwerbstätigkeit und Vorsorge."
Ja, das ist persönlich. Da kommt mir das Frühstück hoch. Nicht nur, weil diese Dame offenkundig unfähig ist, die Rentenstatistik zu lesen. Die besagt, in ihrer neuesten Ausgabe, nämlich dem von der Bundesregierung dem Bundestag gegenüber abgegebenen Rentenbericht 2024, dass die durchschnittliche Altersrente von Frauen im Jahr 2023 ganze 903 Euro betragen hat. In den großen Städten reicht das gerade mal für die Miete. Und zwar nur dafür.
Da stößt der Dame die Witwenrente auf. Die sorgt immerhin dafür, dass diese Frauen nach dem Tod ihres Partners in der Wohnung bleiben können, und dass sie nicht sofort in die Grundsicherung fallen. Nein, es braucht keinen großen Anreiz "für eigene Erwerbstätigkeit und Vorsorge". Die eigene Erwerbstätigkeit wird schon dadurch erzwungen, dass es meist schon zwei Arbeitende braucht, spätestens, wenn Kinder im Haus sind. Vorsorge? Die muss man sich leisten können. 30 Jahre stagnierende Reallöhne bei steigenden Mieten sorgen dafür, dass das nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung der Fall ist. Bei ihren Professorenkollegen findet Frau Grimm vielleicht noch nicht arbeitende Hausfrauen, aber das sind Luxusbedingungen.
Was mich aber wirklich aufregt, ist, dass sie ganz und gar keinen, überhaupt keinen Schimmer davon hat, wie es Alleinerziehenden ergeht. Ich habe drei Töchter alleine großgezogen. Einen guten Teil der Zeit war ich selbständig, weil das die einzige Möglichkeit war, überhaupt so viel zu verdienen, dass es ohne Zahlungen vom Sozialamt ging; allerdings um den Preis, dass eine Einzahlung in die Rentenkasse nicht drin war. Die Mütterrente gleicht das noch lange nicht aus. Obwohl die Scheidungsrate in Deutschland 2023 35,7 Prozent betrug und in der Hälfte dieser geschiedenen Ehen minderjährige Kinder leben, obwohl der Anteil der Väter, die überhaupt in der Lage sind, den Mindestunterhalt für die Kinder aufzubringen, ständig sinkt, ist "alleinerziehend" ein Lebenszustand, der für die deutsche Gesetzgebung in vielen Bereichen nach wie vor nicht existiert. Wie im Rentenrecht.
Was dann eben dazu führt, dass frau Kinder aufzieht, die allesamt versprechen, gute Einzahlungen in die Sozialversicherungen zu leisten, und selbst leer ausgehen wird, was eine Rente angeht, oder eben in der Grundsicherung landet. Was für eine erfreuliche Perspektive, die Armut in der Zeit der Kindererziehung dann mit Armut im Alter zu krönen!
Sowieso kann die Dame nicht bis drei zählen. Denn das mit der "alternden Gesellschaft" hat auch viel mit den Bedingungen zu tun, unter denen man in Deutschland Kinder aufzieht. Mit Wohnungsmangel beispielsweise. Mit den für Alleinerziehende völlig fehlenden Erholungszeiten. Und eben mit der Tatsache, dass bei einer Scheidungsrate von 35,7 Prozent auch die Lebenslage Alleinerziehender ein Faktor dabei ist, ob man sich auf das Abenteuer, Kinder zu bekommen, überhaupt einlässt. Wobei der besondere Charme dann darin liegt, genau jene in der Rente abzustrafen, die das mit der "alternden Gesellschaft" noch abgemildert haben.
Nein, im Grunde ist die Haltung dieser Frau Professorin absolut unverschämt und parasitär. Warum? Weil Renten – und auch ihre Pension – immer aus den aktuellen Leistungen finanziert werden. Im Falle der Renten aus den Beiträgen zur Rentenversicherung, und im Falle der Pension aus den aktuell bezahlten Steuern. Meine Kinder werden in beides einzahlen. Und es wird Frau Professor Grimm sein, die davon profitiert, ja, die vermutlich überhaupt nur deshalb ihre großzügige Pension genießen kann, weil es noch viele andere Idiotinnen wie mich gibt, die die künftigen Einzahler aufgezogen haben, statt sich auf ihre eigene Karriere zu konzentrieren.
Es ist schon reizend, dass im Zusammenhang mit der Mütterrente immer so getan wird, als lebten alle Mütter in bestens gesicherten Verhältnissen und bräuchten dieses Geld eigentlich gar nicht, weil sie schließlich selbst dann noch von der Rente ihres Mannes profitieren, wenn dieser längst verstorben ist.
Das hat mit der deutschen Wirklichkeit rein gar nichts zu tun, in der ohnehin die Rente niedriger liegt als rundherum, genauso, wie in (West-)Deutschland die Kinderbetreuung später ausgebaut wurde, und der Abstand zwischen Männer- und Fraueneinkommen sowie die Teilzeitquote besonders hoch sind. 30 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Kind bezogen 2024 Bürgergeld, aber 70 Prozent der Alleinerziehenden mit drei und mehr Kindern. Nebenbei, mal nachschlagen, was das in der Rentenversicherung bringt.
Anreize zur Vorsorge? Da lachen doch die Hühner! Bezogen auf die Gesamtgesellschaft gibt es nur eine Vorsorge: Kinder. Weil sonst eben niemand da ist, der die Renten – und die Pension – am Ende bezahlt. Das lässt sich durch keine andere "Vorsorge" ersetzen, ob die jetzt Riesterrente oder sonstwie heißt. Wobei alle bisherigen Erfahrungen mit sowas belegt haben, dass nur diejenigen "vorsorgen" können, die es eigentlich sowieso nicht nötig haben.
Dass die Dame das dann auch noch im Vorlauf zu Ostern ins Spiel bringt, passt natürlich zur Gesamtatmosphäre. Andere überlegen ja gerade, wie man den vorhandenen Nachwuchs auf dem Schlachtfeld entsorgen könne. Aber Grimm gehört sicher auch zu jenen, die das völlig in Ordnung finden, weil man die möglichen Rentenzahler schließlich viel billiger fertig ausgebrütet importieren kann.
Sie könnte ja gerne schon einmal auf die Hälfte ihrer Pension verzichten. Oder besser noch, die Hälfte ihrer Besoldung. Wird sie nicht tun. Sie wird sich (und das vermutlich zu Recht) darauf verlassen, dass an ihr sämtliche künftigen Kürzungen, die drohen, um Panzer zu finanzieren, spurlos vorüberziehen. Wozu sie selbstverständlich mit beiträgt, indem sie lauthals Vorschläge macht, wo denn ihrer Meinung nach überall gekürzt werden könnte.
Nur, damit es nicht vergessen wird, weil das auch noch so ein Grund ist, warum mir diese Vorschläge so einen dicken Hals machen – die Sache mit der Lebenserwartung. Der Unterschied zwischen Arm und Reich beträgt zehn Jahre. Und das bedeutet, in Bezug auf den Gesamttopf zur Versorgung der Alten, dass die Beiträge der Armen die höheren Renten der Reichen finanzieren, die dann auch noch länger etwas davon haben.
Klar, inzwischen gibt es da so einige Bruchpunkte, weil es noch die vielen privaten Versorgungskassen für die freien Berufe gibt, von denen einige in den letzten Jahren in die Knie gegangen sind und ebenfalls keine guten Zahlungen mehr versprechen. Aber im Großen und Ganzen bleibt es dabei: Da zerreißt sich eine Privilegierte das Maul, weil ihrer Meinung nach die Armen immer noch zu viel bekommen.
Dass derartige Tiraden dann auch noch den Platz einnehmen können, der einmal der Sozialberichterstattung gehörte, lässt ahnen, dass das nur eine Einleitung war. Die Erweiterung der Mütterrente, gegen die Frau Professor schießt, ist zwar Teil des Koalitionsvertrags, aber noch lange nicht beschlossen, und sie werden da schon rechtzeitig entdecken, dass ihr Geld noch lange nicht reicht für den gewünschten Krieg, und das Bisschen, was noch halbwegs vernünftig war, streichen. Wobei sie noch weiter geht und die Mütterrente vollkommen streichen will.
Und Frau Grimm wird sich freuen, weil sie das für vernünftig hält, weil sie immer noch davon ausgeht, dass sich die künftigen Bezahler ihrer Pension jedes Elend klaglos werden aufbürden lassen und sie ihre Schäfchen ja im Trockenen hat. Ja, es ist erstaunlich, wie ruhig die Deutschen sich wieder mal "Kanonen statt Butter" verschreiben lassen. Aber nicht einmal sie werden auf ewig bereit sein, dieser Variante von Grimms Märchen zu lauschen. Nur bis dahin die Wut auf solche überbezahlten Dummschwätzerinnen auszuhalten, das ist nicht einfach.
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