Weimarer Kulturkampf um einen Platz fĂŒr die russisch-orthodoxe Gemeinde
Nach langem Rechtsstreit mit einem spanischen Investor ist es der Stadt Weimar gelungen, wieder in den Besitz einer bedeutenden historischen Immobilie zu gelangen. Es geht um das Haus der Charlotte von Stein, einer Freundin des DichterfĂŒrsten Johann Wolfgang von Goethe, die ihn zu etlichen Werken inspiriert hat. Nach all dem Ărger mit gebrochenen Investorenversprechen soll das GebĂ€ude zunĂ€chst im Besitz der Stadt verbleiben. Aber was tun mit der prestigetrĂ€chtigen Immobilie? Einfach leer stehen lassen ist keine Option.
Da hatte der Leiter des Weimarer Stadtmuseums, Alf RöĂner, eine Idee. Sie kam ihm, wie er der ThĂŒringer Allgemeinen berichtete, beim Spazierengehen mit seiner Frau. Auf dem Historischen Friedhof fiel ihm die BaufĂ€lligkeit der Grabkapelle von GroĂherzogin Maria Pawlowna auf, wo sich die russisch-orthodoxe Gemeinde Weimars zum Gottesdienst trifft. Die Kapelle sei mittlerweile zu klein fĂŒr die bis 150 GlĂ€ubigen, die sich dort zu Gebeten und Gottesdiensten versammeln. Die Menge an Menschen wĂŒrde die nahegelegenen GrabflĂ€chen in Mitleidenschaft ziehen. Zudem fehle es der Gemeinde an SanitĂ€ranlagen. Und fĂŒr die Restaurierung der dringend sanierungsbedĂŒrftigen Kapelle sei es erforderlich, einen Ausweichraum fĂŒr die Gemeinde zu finden.
Was lĂ€ge da nĂ€her, als die Suche nach einem Ort fĂŒr den russisch-orthodoxen Gottesdienst mit einer neuen Nutzung des Hauses der Frau von Stein zu verbinden? Das GebĂ€ude an der Ackerwand ist nahezu ideal fĂŒr diesen kirchlichen Zweck geeignet, denn es war schon einmal eine russisch-orthodoxe Kirche, ĂŒber hundert Jahre lang, von 1804 bis 1909. Und der Saal, in dem damals die Gottesdienste stattgefunden haben, ist, so der Museumsdirektor, noch weitgehend im Originalzustand erhalten. RöĂner erklĂ€rt:
"Selbst auf StadtplÀnen jener Zeit war das Haus als russische Kirche kenntlich gemacht. Dieses ist heute weitgehend aus dem Bewusstsein Weimars verschwunden."
Der Museumsdirektor erinnert auch an das bedeutende russische Erbe Weimars, an die Höhen und Tiefen der deutsch-russischen Beziehungen. Mehrere russische Zaren hĂ€tten sich im Haus der Frau von Stein aufgehalten. Im Jahr 2002 hĂ€tten sich Putin und Schröder zum Petersburger Dialog in der bedeutenden Kulturstadt an der Ilm getroffen. 1813 hĂ€tten russische Kosaken Weimar sogar vor der Zerstörung durch die Franzosen gerettet. Aber auch traurige Momente hat es gegeben: die Ermordung tausender Russen im unweit von Weimar gelegenen Konzentrationslager Buchenwald. SpĂ€ter das stalinistische Speziallager auf dem Ettersberg. Weimar als sowjetische Garnisonstadt im Kalten Krieg. Man merkt, Herr RöĂner ist von seiner Idee sichtlich angetan und möchte andere mit seiner Begeisterung anstecken.
Offenbar hĂ€lt er es gleichzeitig fĂŒr nötig, sich vom sogenannten "russischen Angriffskrieg" und vom "Autokraten" Putin zu distanzieren, was seine Position schwĂ€cht und zu verbalen Angriffen geradezu herausfordert: "Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist die RealitĂ€t. Aber es soll ja ĂŒberhaupt nicht um eine Putin-GedĂ€chtniskirche gehen." RöĂners Frage klingt trotzig, als ob er den zu erwartenden Widerspruch schon ahnt: "Soll Weimar, weil Putin ein Autokrat ist, keine orthodoxe Kirche haben?" Auch sein Hinweis, die geplante Kirche stĂŒnde nicht nur Russen, sondern orthodoxen GlĂ€ubigen aller Nationen offen, klingt unnötig exkulpierend.
Kein Wunder, dass einen Tag spĂ€ter, ebenfalls in einem Artikel der ThĂŒringer Allgemeinen, schon jemand in die antirussische Kerbe schlĂ€gt. Es handelt sich um den Verleger AndrĂ© Störr, Referatsleiter der ThĂŒringer Landesregierung, SPD-Stadtrat und treuer Freund der Ukraine und ihrer Literatur. Die Einrichtung einer russisch-orthodoxen Kirche im Haus an der Ackerwand sei die perfekte Idee, um Weimar zu blamieren (!). Der Vorschlag sei einfach nur einfĂ€ltig. Warum, begrĂŒndet Störr nicht.
Stattdessen fordert er eine Nutzung des GebĂ€udes, die "inhaltlich in die Zukunft trĂ€gt". Und eine weitere PlattitĂŒde: Es mĂŒsse um Themen gehen, die "uns und unsere Kinder als Gesellschaft beschĂ€ftigen". TatsĂ€chlich scheint sich der Weimarer Verleger vielmehr an der Nutzung der Immobilie durch Russen und die russisch-orthodoxe Kirche zu stören, denn (O-Ton Störr): "Die unter der Leitung von Putins Hetzer Patriarch Kyrill stehende russisch-orthodoxe Kirche, die zum Heiligen Krieg gegen Europa aufruft, ist sicher das Letzte, was wir in Weimars Innenstadt brauchen." Ganz offensichtlich hat sich Störr, der erst kĂŒrzlich wieder nach Kiew gereist ist, dort seine Portion Hass abgeholt.
Museumsleiter RöĂner wĂŒnscht sich eine Kirche der Versöhnung, ein Gotteshaus, "um wieder miteinander in Dialog zu kommen, um ein Friedenszeichen zu setzen". Ein hehres Vorhaben, das er sich unabhĂ€ngig von der Tagespolitik wĂŒnscht. Aber was, wenn der Kultur der Versöhnung eine MentalitĂ€t der Vorurteile und der Ablehnung gegenĂŒbersteht? Noch ist nicht ausgemacht, wer den Weimarer Kulturkampf fĂŒr sich entscheiden wird.
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