AfD verbieten oder nicht? Merz hat nun die Wahl


Von Pjotr Akopow

Am Dienstag hat Friedrich Merz das Amt des Bundeskanzlers übernommen – der Bundestag hat im zweiten Anlauf für ihn gestimmt.

Der zehnte Bundeskanzler in der Geschichte Deutschlands wird eine weitere "große Koalition" anführen, die aus den beiden Hauptparteien des Landes – den Unionsparteien CDU/CSU und der SPD – besteht. Die Charakterisierung "Hauptparteien" (oder "Volksparteien", wie es in Deutschland heißt) ist jedoch bereits überholt: Die Christdemokraten und die Sozialdemokraten verlieren schon seit mehreren Jahren an Zuspruch.

Nach der Bundestagswahl im Februar errangen sie nur deshalb die Mehrheit der Parlamentssitze, weil zwei kleine Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten: die für den Bruch der bisherigen Koalition verantwortlichen Freien Demokraten und die neue Anti-Eliten-Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht". Auf deren Kosten gelang es CDU und SPD, eine wackelige Mehrheit im Bundestag zu erreichen, um eine Koalition zu bilden, die unter anderem Deutschland aufrüsten und "die Ukraine vor Russland retten" sollte.

Während der Koalitionsverhandlungen kam es jedoch zu einem bahnbrechenden Ereignis: Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde die beliebteste Partei des Landes. Zum ersten Mal wurde sie in den Umfragen von mehr als einem Viertel der Wahlberechtigten unterstützt, während die CDU zwei Punkte zurückliegt (die SPD verzeichnete rund 15 Prozent). Obwohl die nächsten Wahlen erst in vier Jahren stattfinden werden (es sei denn, die Koalition zerbricht schon vorher), konnte das Establishment dies nicht außer Acht lassen.

Ende letzter Woche wurde die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Mit anderen Worten: Die AfD ist nur noch einen Schritt von einem Parteiverbot entfernt. Und das wurde ganz gezielt am Vorabend der Wahl des neuen Kanzlers gemacht – quasi als Abschiedsgruß der Scholz-Regierung. Zwar ist der Altkanzler selbst gegen ein sofortiges Parteiverbot, aber die AfD-"Etikettierung" wurde von seiner Parteikollegin Nancy Faeser, der bisherigen Chefin des Bundesinnenministeriums, angekündigt. Damit steht der neuen Regierung als wichtigste Opposition eine Partei gegenüber, die man auch verbieten kann. Das ist ein sehr interessantes politisches System, und vor allem ein absolut "demokratisches".

Auch wenn es auf der Ebene der Länderregierungen bereits Aufrufe zum Verbot der AfD gab, wird dies von den Bundesbehörden definitiv nicht in Angriff genommen: Ein solcher Schritt wäre zu offenkundig antidemokratisch. Ja, auf dem Weg zum Parteiverbot müssen noch einige Maßnahmen ergriffen werden, einschließlich einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, aber nicht das wird Merz davon abhalten. Und auch nicht ein Streit mit den USA – schließlich wurde in Washington die Dämonisierung der AfD bereits verurteilt, und US-Vizepräsident Vance schrieb sogar:

"Die AfD ist die populärste Partei in Deutschland und bei weitem die repräsentativste Partei in Ostdeutschland: Jetzt versuchen die Bürokraten, sie zu eliminieren. Wir im Westen haben gemeinsam die Berliner Mauer zu Fall gebracht. Und sie ist wieder aufgebaut worden – nicht von der Sowjetunion oder den Russen, sondern vom deutschen Establishment."


In der Tat belaufen sich die Umfragewerte für die AfD in den Bundesländern Ostdeutschlands auf bis zu 40 Prozent, und ein Parteiverbot würde nicht nur zu einer weiteren Spaltung zwischen West und Ost führen, sondern auch zu einem Anstieg des realen, nicht nur des imaginären, Radikalismus. Und zwar in beiden deutschen Landesteilen – die Unzufriedenheit mit dem herrschenden Establishment ist überall vorhanden, nur im Osten ist sie eben stärker.

Merz steht also vor der Wahl: entweder den Kurs des Verbots der AfD fortzusetzen oder die Versuche ihrer Isolierung schrittweise zu beenden. Im ersten Fall ist das Szenario klar: Die AfD würde weiter verteufelt, die "Demokratiegefährdung" würde die Wähler verängstigen, und ein paar Monate vor der nächsten Wahl würde sie einfach verboten werden. Warum nur ein paar Monate? Damit die Partei keine Zeit hat, unter einem neuen Parteinamen wiederaufzuleben und an den Wahlen teilzunehmen. Die Risiken eines solchen Szenarios liegen auf der Hand: Ein Verbot der "Partei Nummer eins" würde die Debatte über die einzigartige Demokratie in Deutschland beenden und zu einem politischen Schock in den ostdeutschen Bundesländern führen. Und vor allem: Es würde zu keinem langfristigen Ergebnis führen.

Denn die verbotene AfD wird zunächst durch die Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" (die zwar als linksorientiert gilt, aber ebenso skeptisch gegenüber Migranten, der Konfrontation mit Russland und der EU ist) und dann durch eine neue Version der "Alternative" ersetzt. Obwohl die neue AfD radikaler sein würde, würde sie schnell an Popularität gewinnen und wieder in den Bundestag einziehen. Man kann zwar eine Partei verbieten, aber nicht die Ideen, für die die AfD steht. Und das Vertrauen in das Establishment lässt sich damit nicht wiederherstellen, sondern im Gegenteil: Es kann für immer unterminiert werden.

Ja, auch wenn jetzt – laut Meinungsumfragen – eine knappe Mehrheit der Deutschen für ein Verbot der AfD plädiert, ist dies nur die eine Hälfte der deutschen Gesellschaft. Deutschland ist gespalten, und ein Verbot der größten Oppositionspartei wird diese Spaltung noch vertiefen. Wenn zumindest ein Teil der derzeitigen Elite strategisch denken kann, würde es nicht in Richtung eines Verbots der AfD gehen, sondern in genau die entgegengesetzte Richtung: nämlich Versuche ihrer Isolierung zurückzuweisen.

Die sogenannte Brandmauer (das heißt das Verbot von Koalitionen mit der AfD) würde aufgehoben werden, und die Partei würde beginnen, in Regierungskoalitionen einzutreten – zunächst auf kommunaler und Landesebene und dann auf Bundesebene. Dies stellt den einzigen gangbaren Kurs dar, um nicht nur die deutsche Einheit, sondern auch das derzeitige deutsche Establishment in seinem Bestand zu erhalten, auch wenn es die Macht teilen und Kompromisse hinsichtlich seiner Prinzipien eingehen muss. Die von diesem Establishment so hartnäckig verteidigten Prinzipien sind jedoch nicht nur ausländischer, angelsächsischer Herkunft (und für die externe Kontrolle über Deutschland erforderlich), sondern verlieren auch in den westlichen Kernländern, wie etwa den USA, an Unterstützung.

Das heißt, die deutschen Eliten könnten sich irgendwann von zwei Seiten umzingelt sehen – von ihren eigenen Bürgern und von den US-amerikanischen Gönnern. Die Alternative zu diesem Szenario bleibt jedoch noch bestehen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 6. Mai 2025 zuerst bei "RIA Nowosti" erschienen.

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