Wang Yi: Beziehungen zu Russland sind ein wichtiger StabilitÀtsfaktor in einer turbulenten Welt (1)


Redaktionelle Anmerkung: RT DE dokumentiert nachfolgend das Interview des chinesischen Außenministers mit RIA Nowosti in einer zweiteiligen deutschen Übersetzung.

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Der chinesische Außenminister Wang Yi hĂ€lt sich vom 31. MĂ€rz bis 2. April zu einem offiziellen Besuch in Moskau auf. Am Dienstag fanden GesprĂ€che mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow statt. Vor seinem Besuch sprach Wang Yi in einem Interview mit RIA Nowosti ĂŒber die besondere Rolle Moskaus und Pekings bei der Erhaltung des Friedens und der gemeinsamen BekĂ€mpfung der GeschichtsfĂ€lschung, die nukleare AbrĂŒstung und die Frage, wer genau vorrangig an der Reduzierung solcher Waffen arbeiten sollte, ĂŒber die Aussichten fĂŒr eine Lösung des Konflikts in der Ukraine und die FĂ€higkeit der Russen, sich in einem kritischen Moment zu konsolidieren.

Herr Minister, wie wĂŒrden Sie die chinesisch-russischen Beziehungen kommentieren? Der russische PrĂ€sident Wladimir Putin hat gesagt, dass die Beziehungen zwischen China und Russland den höchsten Stand in der Geschichte erreicht haben. Ist es noch möglich, das Niveau der Partnerschaft und der strategischen Zusammenarbeit zu erhöhen?

Ich schließe mich der fairen und sehr zutreffenden EinschĂ€tzung von PrĂ€sident Putin voll und ganz an. Als grĂ¶ĂŸte NachbarlĂ€nder, WeltmĂ€chte und stĂ€ndige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats tragen unsere LĂ€nder eine besondere Verantwortung fĂŒr die Erhaltung des Weltfriedens und der Entwicklung. Unter der strategischen FĂŒhrung von PrĂ€sident Xi Jinping und PrĂ€sident Putin haben sich die Partnerschaft und die strategische Interaktion zwischen China und Russland kontinuierlich vertieft, was nicht nur der Logik der Geschichte entspricht, sondern auch die starke EigenstĂ€ndigkeit der bilateralen Beziehungen beweist. Dies ermöglicht es uns, in Frieden, Harmonie und gemeinsamem Wohlstand zu leben, und fördert darĂŒber hinaus die Bildung einer multipolaren Welt und die Demokratisierung der internationalen Beziehungen.

Die heutigen chinesisch-russischen Beziehungen sind durch drei Merkmale gekennzeichnet. Das erste ist "fĂŒr immer Freunde und niemals Feinde". Unsere Beziehungen reifen auf der Grundlage der kontinuierlichen Verallgemeinerung historischer Erfahrungen und des Lernens aus den Lehren der Vergangenheit. Die FĂŒhrer der beiden LĂ€nder haben mit der ihnen eigenen politischen Weitsicht die historische Entscheidung getroffen, 'die Vergangenheit abzuschließen und die Zukunft zu eröffnen'. Der im chinesisch-russischen Vertrag ĂŒber gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit verankerte Grundsatz "FĂŒr immer Freunde und niemals Feinde" dient als solide Rechtsgrundlage fĂŒr die Förderung der strategischen Zusammenarbeit auf höherer Ebene. Wie man so schön sagt: "Enge Nachbarn sind wie Verwandte, die einander nur Gutes wĂŒnschen." Mit der richtigen strategischen Wahrnehmung des jeweils anderen haben wir einen langfristigen Weg der Koexistenz gefunden, der unseren gemeinsamen Interessen entspricht. In mehr als 70 Jahren gemeinsamer Entwicklung haben China und Russland ein starkes gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, und die Beziehungen zwischen uns haben tiefe Wurzeln, einen reichen Inhalt und eine starke Belastbarkeit.

Das zweite ist Gleichheit und eine fĂŒr beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit. Bereits in den frĂŒhen 1990er Jahren haben China und Russland die GrundsĂ€tze der Gleichheit, des gegenseitigen Nutzens und der komplementĂ€ren Vorteile als Grundlage fĂŒr die bilaterale Zusammenarbeit angenommen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das Prinzip der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Nutzens als Richtschnur fĂŒr die praktische Kooperation zwischen den beiden LĂ€ndern in allen Bereichen etabliert. Der Tendenz der Zeit folgend und unter BerĂŒcksichtigung der berechtigten Anliegen der jeweils anderen Seite haben wir die umfassende Zusammenarbeit kontinuierlich gefördert und die gemeinsamen Interessen gestĂ€rkt. Nach mehreren Jahrzehnten haben die chinesisch-russischen Beziehungen heute einen qualitativ neuen Inhalt und Umfang angenommen. Die Zusammenarbeit hat nicht nur ein hohes Niveau erreicht, sondern ist auch fĂŒr die einfachen Menschen zugĂ€nglich, was unseren Völkern echte, greifbare Vorteile bringt und auch fĂŒr andere LĂ€nder in der Welt von großem Nutzen ist.

Das dritte ist die BĂŒndnisfreiheit, die Nicht-Konfrontation und der Tatbestand, dass unsere Beziehungen nicht gegen Dritte gerichtet sind. FĂŒr China und Russland als zwei benachbarte Staaten und WeltmĂ€chte liegt weder ein BĂŒndnis noch eine Konfrontation (gegen Dritte – Anm. d. Red.) im grundlegenden oder langfristigen Interesse der beiden LĂ€nder und ihrer Völker. Basierend auf den Prinzipien der Blockfreiheit, der Nichtkonfrontation und der NichtdirektivitĂ€t gegen Dritte stellen die chinesisch-russischen Beziehungen keine Bedrohung fĂŒr andere dar, geschweige denn sind sie der Einmischung oder Einmischung von außen ausgesetzt. Sie sind nicht nur ein modernes Beispiel fĂŒr eine neue Art von Beziehungen zwischen GroßmĂ€chten, sondern auch ein wichtiger stabilisierender Faktor in einer turbulenten Welt. Diese drei GrundsĂ€tze sind die logische Wahl der beiden LĂ€nder und ein besonderer Anfang in der Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehungen.

In diesem Jahr jĂ€hren sich der Sieg im weltweiten antifaschistischen Krieg und die GrĂŒndung der UNO zum 80. Mal. Die Geschichte darf nicht vergessen werden. Es ist wichtig fĂŒr uns, eine lebendige Erinnerung daran zu bewahren und zuversichtlich nach vorn zu blicken. Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass China und Russland unter den gemeinsamen Anstrengungen von PrĂ€sident Xi Jinping und PrĂ€sident (Wladimir – Anm. d. Red.) Putin die große Freundschaft entschlossen weiterentwickeln, eine glaubwĂŒrdige Interpretation der Geschichte des Zweiten Weltkriegs fördern und ihr Ergebnis aufrechterhalten, die chinesisch-russischen Beziehungen der umfassenden Partnerschaft und strategischen Zusammenarbeit in der neuen Ära zu neuen Höhen fĂŒhren und neue BeitrĂ€ge leisten werden, um die Weltordnung in eine gerechtere und vernĂŒnftigere Richtung zu lenken.

GegenwĂ€rtig entwickelt sich die praktische Zusammenarbeit zwischen China und Russland dynamisch. Im vergangenen Jahr ĂŒberstieg der bilaterale Handelsumsatz 244 Milliarden US-Dollar und stellte damit einen neuen historischen Rekord auf. Was ist Ihrer Meinung nach der "Erfolgscode" fĂŒr eine fruchtbare chinesisch-russische Zusammenarbeit trotz Ă€ußerer Einmischung? Welches sind die vorrangigen Bereiche der Zusammenarbeit zwischen den beiden LĂ€ndern in der Zukunft?

In den vergangenen Jahrzehnten sind dank der gemeinsamen Arbeit Umfang und Fundament der chinesisch-russischen Zusammenarbeit gewachsen, die Kooperationsbereiche haben sich erweitert, und es wurden fruchtbare Ergebnisse erzielt. Von der Umsetzung von 156 SchlĂŒsselprojekten mithilfe der Sowjetunion bis zum heutigen Handelsumsatz von 244,8 Milliarden US-Dollar, von russischen Agrarprodukten auf dem Tisch einer chinesischen Familie bis zu chinesischen Autos auf den Straßen Russlands – all dies sind Beweise dafĂŒr, dass die stabile und sich verbessernde praktische Zusammenarbeit der Vertiefung der bilateralen Beziehungen einen starken Impuls verliehen hat.

Trotz der Schwierigkeiten in der globalen Entwicklung schreitet unsere praktische Zusammenarbeit immer weiter voran und weist sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht einen positiven Trend auf. Dies war vor allem dank der fĂŒhrenden Rolle der beiden Staatschefs möglich. PrĂ€sident Xi Jinping und PrĂ€sident Wladimir Putin haben enge Kontakte auf höchster Ebene gepflegt und eine Planung und solide strategische Orientierung fĂŒr die bilateralen Beziehungen in der neuen Ära ausgeĂŒbt.

DarĂŒber hinaus haben unsere LĂ€nder gemeinsame EntwicklungsbedĂŒrfnisse. Wir sind WeggefĂ€hrten im Hinblick auf Entwicklung und Wiederbelebung, denn wir haben eine gemeinsame Grenze von mehr als 4.300 Kilometern, große komplementĂ€re Vorteile, ein riesiges Potenzial und einen großen Raum fĂŒr die Zusammenarbeit.

Drittens haben wir eine solide nationale Triebkraft fĂŒr die Interaktion. Die chinesisch-russische Zusammenarbeit kommt den Menschen in beiden LĂ€ndern zugute, und wir haben einen umfassenden Kooperationsmechanismus zwischen uns eingerichtet. UnabhĂ€ngig davon, wie stark die externen Hindernisse und der Druck sind, sind wir in der Lage, die Hindernisse fĂŒr die Zusammenarbeit zu beseitigen, ohne an Schwung zu verlieren oder vom richtigen Kurs abzuweichen.

Viertens: Wir haben ein starkes soziales Fundament. Die Völker beider LĂ€nder verbindet ein gemeinsames historisches GedĂ€chtnis, enge Werte und eine tiefe traditionelle Freundschaft. Eine vorsichtige Einstellung zu einer fĂŒr beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit ist eine unerschöpfliche Kraft zur Förderung der Kooperation.

Die Zusammenarbeit zwischen China und Russland ist wie ein Schnellzug: Die Landschaft hinter dem Fenster Àndert sich, das Wetter Àndert sich, aber der Zug fÀhrt immer noch stetig weiter. In einer turbulenten und sich wandelnden Welt wird sich die chinesisch-russische Zusammenarbeit stetig auf dem vorgesehenen Gleis weiterentwickeln, wobei drei Hauptaufgaben anvisiert werden:

Die erste besteht darin, ein solides materielles Fundament fĂŒr die bilateralen Beziehungen zu schaffen, die Grundlagen der Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Wirtschaft und Energie zu stĂ€rken und das Potenzial der technologischen Innovation und der umweltfreundlichen Entwicklung zu erschließen, um zusĂ€tzliche Wachstumsmotoren zu erzeugen.

Zweitens sollen die Möglichkeiten fĂŒr gemeinsamen Wohlstand vervielfacht werden, indem die gegenseitige Offenheit weiter ausgebaut und Erfahrungen und Innovationserfolge geteilt werden, um die sektorĂŒbergreifende Integration zu vertiefen.

Drittens geht es darum, der globalen Entwicklung mehr Schwung zu verleihen, weitere Synergien zwischen der Zusammenarbeit im Rahmen der OBOR (One Belt, One Road Initiative/Neue Seidenstraße – Anm. d. Red.) und der EAEU (Eurasische Wirtschaftsunion – Anm. d. Red.) zu fördern, die fĂŒhrende Rolle des chinesisch-russischen Nexus in der regionalen Zusammenarbeit hervorzuheben und die Sicherheit, StabilitĂ€t und KontinuitĂ€t der internationalen Wertschöpfungsketten durch eine hochrangige Interaktion zwischen Peking und Moskau zu gewĂ€hrleisten.

Wie steht China zu den jĂŒngsten Ideen von PrĂ€sident Trump zur Beilegung des Konflikts in der Ukraine? Wie bewerten Sie das Ergebnis der TelefongesprĂ€che zwischen den Staatschefs Russlands und der Vereinigten Staaten?

Die Ukraine-Krise, die als der grĂ¶ĂŸte geopolitische Konflikt seit dem Ende des Kalten Krieges bezeichnet wird, geht nun in ihr viertes Jahr. Vom ersten Tag nach Ausbruch der Krise an haben wir uns fĂŒr eine politische Lösung im Wege des Dialogs und der Verhandlungen eingesetzt und alle BemĂŒhungen um die Wiederherstellung des Friedens unterstĂŒtzt. Diese Position steht im Einklang mit den Bestrebungen der Mehrheit der LĂ€nder der internationalen Gemeinschaft.

Wir verweisen auf die wiederholten ErklĂ€rungen der russischen Seite, insbesondere von PrĂ€sident Putin, dass Moskau den Dialog als Mittel zur Lösung des Konflikts nicht abgelehnt hat und nicht ablehnt. Obwohl die Lage auf dem Schlachtfeld keineswegs einfach ist, gibt es eine Tendenz zu FriedensgesprĂ€chen. PrĂ€sident Putin und PrĂ€sident Trump haben bereits zweimal miteinander telefoniert, die Teams aus Moskau und Washington stehen in Kontakt, es hat ein ernsthaftes GesprĂ€ch ĂŒber die politische Beilegung der Ukraine-Krise und die Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen stattgefunden, und es sind einige Ergebnisse erzielt worden. Es ist ein Schritt in Richtung Frieden, wenn auch kein großer, so doch ein konstruktiver Schritt, der es wert ist, getan zu werden. Der Frieden wird nicht im Liegen erreicht; wir mĂŒssen hart daran arbeiten, ihn zu erreichen.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Ursachen der Krise Ă€ußerst komplex sind, die Parteien in einer Reihe von SchlĂŒsselfragen noch weit auseinander liegen und der Weg zur Wiederherstellung des Friedens noch weit ist. China ist bereit, eine konstruktive Rolle bei der Beilegung der Krise zu spielen und dabei die Bestrebungen der beteiligten Parteien zu berĂŒcksichtigen, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft, insbesondere den LĂ€ndern des Globalen SĂŒdens. Wir setzen uns dafĂŒr ein, die Ursachen der Krise durch Dialog und Verhandlungen zu beseitigen und schließlich ein faires, langfristiges und verbindliches Friedensabkommen zu erreichen, das fĂŒr alle Beteiligten akzeptabel ist und zu wirklich dauerhaftem Frieden und StabilitĂ€t in Eurasien und der Welt fĂŒhren wĂŒrde.

Ende des ersten Teils des Interviews

Übersetzt aus dem Russischen. Das Interview ist zuerst am 1. April 2025 auf RIA Nowosti erschienen.

Mehr zum Thema – Die Partnerschaft zwischen Russland und China wird auf die Probe gestellt


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