Die Friedensbewegung in Deutschland im Spannungsfeld – Teil 2
Von Doris Pumphrey
Teil 1 lesen Sie hier.
Der Krieg gegen Russland
Leider ist es aus Zeitgründen im Rahmen dieses Vortrags nicht möglich, die mit genauen Fakten belegte, bewusst organisierte westliche Eskalation des Konflikts darzustellen, die zum Einschreiten der russischen Armee führen musste und die bis heute von Politik und Medien systematisch ignoriert wird. Die Einzelheiten sind alle nachzulesen in zahllosen Berichten westlicher Insider, z. B. von Jeffrey Sachs, Jacques Baud, György Varga etc.
Auch in der Friedensbewegung hatten viele anfänglich die Vorgeschichte ausgeblendet oder kleingeredet. Im Eiltempo hatten sie Russland abgeurteilt unter Auslassung wichtiger Bestimmungen des Völkerrechts, die diesem Einschreiten zugrunde liegen.
Bereits 2014, nach dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation, hatte das Ignorieren der Geschichte und die selektive Auslegung des Völkerrechts zum ständigen Distanzierungsritual von der sog. "völkerrechtswidrigen Annexion der Krim" geführt.
Dass mit diesem Beitritt der Plan, aus Sewastopol einen US/NATO-Stützpunkt gegen Russland zu machen, vereitelt wurde – womit eine höchst friedensgefährdende Situation entstanden wäre –, spielte für den Großteil der Friedensbewegung keine Rolle.
Am Morgen des 24. Februar 2022, als die russische Intervention begann, sollte offenbar ganz schnell der Ton vorgegeben werden für die Reaktion der Friedensbewegung. Bereits um 08:25 Uhr wurde über den offiziellen E-Mailverteiler des Bundesausschuss Friedensratschlag eine Erklärung verteilt. Darin verurteilten Reiner Braun und Willy van Ooyen die "militärische Aggression Russlands", die auch durch die "Mitschuld des Westen" (…) keinesfalls gerechtfertigt" sei. Und sie erklärten: "Es gibt keine militärische, sondern nur eine politische Lösung auf der Basis der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit."
Diesen beiden prominenten Akteuren der Friedensbewegung war sehr wohl bekannt, dass Russland genau diese Lösung den USA und der NATO im Dezember 2021 mit konkreten Vorschlägen für Verträge über gegenseitige Sicherheitsgarantien angeboten und dann im Februar 2022 vergeblich wiederholt hatte.
Ein von Politik und Medien organisierter Anti-Putin-Tsunami überrollte das Land. In einer Sondersitzung des Bundestages wurde der damalige ukrainische Botschafter Andrei Melnyk, bekennender Verehrer des Nazi- und SS-Kollaborateurs und Massenmörders Stepan Bandera, als Ehrengast empfangen. Alle Fraktionen erhoben sich (einschließlich der Linken, aber nur wenige Abgeordnete der AfD) und begrüßten ihn mit lang anhaltendem Applaus.
Blau-gelb beflaggt feierte Deutschland seine moralische Hybris. Die bedingungslose Unterstützung der Ukraine wurde oberste Priorität deutscher Politik – einer Ukraine, die per Gesetz die russische Sprache aus dem öffentlichen Leben verbannte, allem Russischen den Kampf ansagte, alle oppositionellen Parteien, regierungskritische Zeitungen und die Russisch-Orthodoxe Kirche verbot, Dissidenten verfolgt, foltert und ermordet, Nazi- und SS-Kollaborateure als Helden verehrt und faschistische Bataillone in ihre Armee integrierte.
Bundeskanzler Scholz kennt in seinem Geschichtsrevisionismus keine roten Linien. Er erklärte die Unterstützung dieser Ukraine als "Vermächtnis des 8. Mai".
Auf einer Schleimspur hatte die Bundesregierung Washington unverbrüchliche Treue geschworen. Der grüne Vizekanzler Habeck hatte seinem Herrn und Meister in Washington versprochen, dass Deutschland eine "dienende Führungsrolle" im Kampf gegen Russland spielen werde.
Als Schoßhündchen Bidens und Blinkens hatten die Politiker Putin jahrelang hysterisch angekläfft. Sie hatten Diplomatie durch Sanktionen und Eskalation ersetzt. Drei Jahre hatten sie damit verbracht, alle Brücken nach Moskau einzureißen.
Putin wolle keinen Frieden, wir müssen ihn militärisch an den Verhandlungstisch zwingen, war das Mantra, das der Bevölkerung tagein, tagaus heruntergebetet wurde.
Und dann kam Donald Trump und brachte durch ein Telefonat mit Putin das Kartenhaus aus antirussischen Lügen zum Einsturz. Das kennen deutsche Politiker nicht mehr, einen Dialog, offenbar geprägt von gegenseitigem Respekt. Mit ihren britischen und EU-Kollegen gerieten diese russophoben Fanatiker vollends in Panik. Plötzlich droht der Frieden!
Die Friedensbewegung grenzt sich ein
Die "alte" Friedensbewegung hatte schon 2014 eine Brandmauer "gegen rechts" errichtet, gegen die Montagsmahnwachen für den Frieden. Die Brandmauer wurde immer höher, als die Bewegung gegen die antidemokratischen Corona-Maßnahmen den Kampf für den Frieden aufgenommen hatte. Durch die Diffamierungen, die diese Bewegung erfahren hatte, hatten sie ein widerständigeres Potenzial entwickelt, das vielen in der "alten" Friedensbewegung schon längst abhandengekommen war.
Dies gilt insbesondere für die Ostdeutschen, die die sogenannte Deutsche Einheit vor allem als westdeutsche Hybris, als permanente Diffamierung ihrer eigenen Lebensleistung und der Errungenschaften der DDR erfahren.
Allgemein weniger anfällig für die NATO-Propaganda, wurde von ihnen der Zusammenhang zwischen den steigenden Energiepreisen, ihrer wachsenden Armut und antirussischen Sanktionen schnell erkannt und benannt.
Was der deutsche Faschismus in der Sowjetunion angerichtet hatte, spielt zudem für die Ostdeutschen aufgrund ihres Geschichtsbewusstseins eine unvergleichlich höhere Rolle als für die Westdeutschen. "Freundschaft mit Russland" empfinden auch heute noch sehr viele Ostdeutsche, während viele in der westlich dominierten "alten" Friedensbewegung diesen Begriff kaum über ihre Lippen bringen.
Die herrschende Kriegsallianz konnte eine Aktionseinheit von "alter" und "neuer" Friedensbewegung nicht zulassen. Mit aktiver Schützenhilfe von Parteien, Medien und diversen Organisationen, die sich selbst als "antifaschistisch" bezeichnen, wurde die "neue" Friedensbewegung als "rechtsoffen" diffamiert.
Doch was ist "rechtsoffen", wenn Menschen für Diplomatie, Frieden und Verständigung mit Russland demonstrieren – auch wenn sie mit der AfD sympathisieren. Sind die Forderungen rechts? Den Organisatoren der Friedensaktionen käme doch nicht in den Sinn, Demonstranten auszuschließen, die "Diplomatie statt Waffen" fordern, auch wenn sie Wähler oder Mitglieder der Grünen und SPD sind, den hauptverantwortlichen Waffenlieferanten und Kriegshetzern.
Oder wäre z. B. ein Streik von abhängig Beschäftigten für gemeinsame Forderungen vorstellbar, würden alle Streikwilligen erst nach ihrem Wahlverhalten überprüft?
Die "alte" Friedensbewegung aber grenzte sich in ihrer ohnehin schwachen Mobilisierung auch noch mit Brandmauern ein.
Inzwischen gibt es auf lokaler und regionaler Ebene erfolgreiche Bemühungen die Gesinnungs-Brandmauer einzureißen und sich nicht von den sogenannten "Antifas" einschüchtern zu lassen.
Die Friedensbewegung muss raus aus der Defensive
Die Osterweiterung der NATO mit Truppenstationierungen und Militärmanövern waren immer ein zentrales Thema des Protestes der Friedensbewegung. Als Russland nach vergeblichen Bemühungen, den Ukraine-Konflikt friedlich zu lösen, der NATO am
24. Februar 2022 deutlich machte "Bis hierher und nicht weiter", versagte die Friedensbewegung. Eine ernsthafte Antwort auf die Frage, welch andere Option Russland denn gehabt hätte, blieb bis heute aus.
Die Friedensbewegung hat sich von Anfang an selbst in die Defensive gebracht. Mit der Übernahme des NATO-Mantras vom "völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg" wollte sie "glaubwürdig" und nicht "angreifbar" sein. Damit hat sie laut Albrecht Müller, dem Herausgeber der NachDenkSeiten, nur dazu beigetragen, "Vorurteile und Aggressionen gegen Russland" zu verstärken.
Warum hat die Friedensbewegung, die sich auf den Antifaschismus beruft, nicht in jedem Aufruf und auf jeder Kundgebung dagegen protestiert, dass Deutschland politisch, finanziell und militärisch ein naziverherrlichendes Regime in Kiew unterstützt? Damit hätte sie die Regierung in Erklärungsnot bringen können.
Warum hat sie nicht die Offensive ergriffen und immer wieder darauf verwiesen, dass die Bundesregierung durch ihre Sabotage von Minsk II am Krieg mitschuldig ist und die NATO im April 2022 die Istanbul-Vereinbarung zur sofortigen Beendigung der Kampfhandlungen verhindert hat?
Mit äquidistanten Forderungen wie "Waffen nieder" und "Verhandeln" hat die Friedensbewegung vermieden klarzustellen, dass nicht Putin, sondern Selenskij und seine NATO-Auftraggeber beides konsequent verweigerten.
Verantwortlichkeiten klar zu benennen und Forderungen entsprechend zu adressieren ist Teil der Aufklärung, die die Friedensbewegung leisten muss.
Die Mehrheit der Friedensbewegung schwieg zur russophoben Stimmungsmache, die von Politik und Medien systematisch betrieben wurde. Sie hat drei Jahre lang vermieden, den dringend notwendigen Widerstand gegen die zunehmende Volksverhetzung aufzubauen – aus Angst "Bündnispartner" zu verprellen.
Was sind Bekenntnisse zur deutschen Verantwortung vor der Geschichte, wenn sich die Friedensbewegung nicht offensiv gegen die völlig enthemmte Anti-Russland-Propaganda der deutschen Regierung stellt, die jede antisoziale und antidemokratische Maßnahme mit "Putin" rechtfertigt?
Die "Vernichtung der Lebenskraft Russlands", wie Hitler es formuliert hatte, war nicht gelungen. Die deutsche Außenministerin wollte "Russland ruinieren". Und der deutsche Kanzler gelobte: "Es muss unser Ziel bleiben, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt."
Doch die Realität ist hartnäckig, Fakten am Ende immer stärker als Fakes. EU und Bundesregierung hatten den Krieg in der Ukraine als ihren eigenen Krieg gegen Russland propagiert. Drei Jahre lang hatten sie die "Schwäche" Putins beschworen und täglich den Sieg Kiews verkündet. Die Niederlage Kiews wird zur eigenen Niederlage.
Nun stehen sie vor ihrer gescheiterten Politik. Das können sie nicht eingestehen. Mit allen Mitteln versuchen sie, einen möglichen Friedensprozess zu torpedieren.
Die Bundesregierungen haben das eigene Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gebracht – mit ihrem "Green Deal", den Corona-Maßnahmen, den Sanktionen gegen Russland und der Alimentierung des Ukraine-Krieges. Frieden und politische Entspannung würde der Bevölkerung das ganze Desaster der Regierungspolitik deutlich machen.
Was eignet sich in diesem Deutschland besser zur Ablenkung von der eigenen Schuld als "Putin"? Also muss Putin nach der "Eroberung der Ukraine" nach Westen weitermarschieren, denn Deutschland hat beschlossen, bis spätestens 2030 "kriegstüchtig" zu werden, mit Kriegskrediten in Billionenhöhe, beispielloser Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft.
Die immer extremere Einengung der Meinungsfreiheit in den letzten Jahren hat die Bevölkerung eingeschüchtert. Die Angst vor der angeblichen "russischen Bedrohung" soll sie vollends gefügig machen, um die drohende wirtschaftliche und soziale Katastrophe widerstandslos hinzunehmen. Dem muss die Friedensbewegung entgegenwirken.
Wie war der Westen doch überzeugt, sein Sieg im Kalten Krieg sei das Ende der Geschichte und die NATO die Garantie seiner globalen Vorherrschaft. Und dann kam Putin, bot dem siegestrunkenen "kollektiven Westen" die Stirn und zerschmetterte dessen Allmachtsanspruch.
Der 24. Februar 2022 markiert das Ende der unipolaren Welt. Das Eingreifen Russlands wirkte geopolitisch wie ein Katalysator und hat die Dynamik der internationalen Entwicklung Richtung einer multipolaren, demokratischen Weltordnung auf der Basis der "souveränen Gleichheit" aller Nationen beschleunigt. Es hat bereits Ländern im Globalen Süden, insbesondere in Afrika, neuen Aufrieb gegeben in ihrem Kampf gegen den Neokolonialismus.
Die Friedensbewegung muss sich klar werden, wer in den internationalen Konflikten und in dieser geopolitischen Entwicklung welche Interessen verfolgt. Sie muss sich entscheiden, wo sie steht.
Im Mai jährt sich zum achtzigsten Mal der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus durch die Rote Armee. Das deutsche Außenministerium empfiehlt, russische und belarussische Diplomaten von offiziellen Veranstaltungen auszuschließen – wenn nötig, sie vor die Tür zu setzen. Man wolle vermeiden, dass diese Diplomaten mit ihrer "Propaganda, Desinformation und geschichtsrevisionistischer Verfälschung" das Gedenken der Deutschen "instrumentalisieren".
Jegliches Schuld- und Schamgefühl über die eigene deutsche Geschichte wurde abgelegt. Der Angriffskrieg Nazideutschlands, der 27 Millionen Tote und verbrannte Erde in der Sowjetunion hinterließ, soll endgültig aus dem Gedächtnis der Deutschen getilgt werden. Mit antirussischer Hysterie, die Goebbelsches Ausmaß schon längst übertroffen hat, soll die deutsche Bevölkerung erneut in den Krieg gegen Russland gehetzt werden.
Die Friedensbewegung muss endlich den Mut haben, die antirussische Aggressionspolitik als zentrales Problem zu benennen und zu bekämpfen. Und sie muss der Bevölkerung klarmachen:
Deutschlands Feind ist nicht Russland, sondern Geschichtsfälschung, Verantwortungslosigkeit, Größenwahn und der völlige Realitätsverlust seiner Regierung und des politisch-medialen Establishments.
Vortrag, gehalten auf dem Kongress "Krieg und Frieden" der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Berlin vom 10. bis 12. April 2025; zuerst veröffentlicht vom Deutschen Freidenker-Verband unter www.freidenker.org am 16. April 2025. RT DE dankt für die Genehmigung zur Wiederveröffentlichung.
Doris Pumphrey ist langjährige Aktivistin in der Friedensbewegung, u. a. in der Friedenskoordination Berlin.
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