Eine russische Antwort auf den Drohnenangriff? Wird erfolgen. Wo sie nicht erwartet wird
Von Dagmar Henn
Nein, es wird nichts dazugelernt. Nicht in Europa jedenfalls, wo nach wie vor der Jubel über die ukrainische "Operation Spinnennetz" vorherrscht und jede noch so große Zahl an vermeintlich beschädigten strategischen Flugzeugen begeistert aufgegriffen wird.
Ein typisches Beispiel liefert dafür Julian Röpcke, der in seinem Post auf X gleich in die Vollen geht: "Nach glaubwürdigen Angaben wurden rund 40 russische Flugzeuge beschädigt oder zerstört." Nun, Röpcke glaubt gerne erst einmal allem, was die Ukrainer erzählen. Das wirkliche Problem zeigt sich aber, wenn man betrachtet, wie er dann in seiner Analyse fortfährt.
(Die Friedrich-Ebert-Stiftung kam übrigens zu einer Zahl von 13 zerstörten oder schwer beschädigten Flugzeugen und fügte hinzu: "Die Verluste russischer Langstreckenbomber sind operativ schmerzhaft, strategisch jedoch verkraftbar.")
Er schließt nämlich daraus, das "Eskalationspotential der russischen Führung und Streitkräfte" sei "erschöpft", weil Russland auf den ukrainischen Drohnenangriff nicht unmittelbar zurückgeschlagen hätte. Und geht so weit, daraus dann letztlich die Fantasie zu konstruieren, Russland sei doch militärisch zu schlagen, denn:
"Sämtliche nukleare Optionen scheiden aus, will Moskau weiter mit seinen Rohstoff-Hauptabnehmern China, Indien und der Türkei in wirtschaftlichen Beziehungen bleiben. Insofern offenbart dieser ukrainische Schlag einmal mehr die Schwäche Russlands. Und er offenbart ein Paradox: Je stärker Russland militärisch getroffen wird, desto verhaltener fällt seine Reaktion aus."
Nun könnte es ja wirklich sein, dass in Russlands Regierung Menschen sitzen, denen ein nukleares Armageddon nicht als erstrebenswertes Ziel erscheint, und jedermann mit mehr gesundem Menschenverstand würde dies begrüßen und nicht, wie Röpcke, als Schwäche lesen. Aber selbst Röpcke müsste nur etwas mehr als ein halbes Jahr zurückblicken, um zu erkennen, dass seine Behauptung etwas zu kurz springt.
Gehen wir einmal zurück. Der Angriff auf die strategischen Bomber war nicht der erste, der auf die russischen Nuklearstreitkräfte zielte. Schon im Herbst 2022 gab es einen ukrainischen Drohnenangriff auf den Flugplatz in Engels, wo eine Reihe dieser Bomber stationiert sind. Im vergangenen Jahr kam dann im Sommer erst der Angriff auf ein russisches Überhorizontradar, das Teil des nuklearen Frühwarnsystems ist. Darauf folgte dann, als der Angriff auf Kursk das Ziel des dortigen Reaktors nicht erreichte, im November die Freigabe von Angriffen mit ATACMS auf russisches Gebiet.
Die Reaktion darauf war erst eine Aktualisierung der russischen Nukleardoktrin, die zuvor eine Reaktion mit Atomwaffen gegenüber Ländern, die selbst keine Atommächte sind, ausgeschlossen hatte. In der neuen Version ist ein Einsatz auch erlaubt, wenn ein Nichtatomwaffenstaat "mit der Teilnahme oder Unterstützung eines Atomwaffenstaats" angreift. Das bedeutet, solange die Ukraine bei Angriffshandlungen durch die USA, Frankreich oder Großbritannien unterstützt oder angeleitet wird, erlaubt die Nukleardoktrin nun eine atomare Antwort.
Aber wenn Russland eines beherrscht, dann ist es Eskalationskontrolle, und man ist sich sehr wohl bewusst, dass es meistens nicht wirklich schlau ist, das zu tun, was der Gegner von einem erwartet. Weshalb es dennoch, als die ersten ATACMS gegen Kursk eingesetzt wurden, nicht zu einem Einsatz von Atomwaffen kam, sondern zu etwas gänzlich Unerwartetem: dem ersten Einsatz einer Oreschnik-Rakete. Woraufhin tatsächlich eine Zeit lang erschrockene Stille herrschte, weil diese Waffe ein weit größeres Zerstörungspotenzial besitzt als bisher bekannte konventionelle Raketen und zudem über eine Reichweite verfügt, die auch mehrere europäische Hauptstädte erreicht.
Nun, ein halbes Jahr später, scheint die Oreschnik schon wieder vergessen. So weit, zu begreifen, dass Russlands Führung einfach nicht dumm genug ist, um sich den Zeitpunkt oder gar die Art und Weise einer Reaktion vom Gegner vorgeben zu lassen, ist man bisher ebenfalls nicht gekommen.
Dabei gibt es noch einen guten Grund für eine eher langsame Reaktion. Der Kernpunkt dieses Angriffs ist nicht, ob oder wie viele der strategischen Bomber beschädigt wurden. Der Kernpunkt ist, dass dieser Angriff überhaupt stattgefunden hat. Denn dass die Flugzeuge so verwundbar auf den Flugplätzen standen, ist die Konsequenz des START-Vertrags, der dies Russland, aber eben auch den Vereinigten Staaten vorschreibt ‒ die Flugzeuge, die strategische Atomwaffen tragen können, müssen jederzeit für den Gegner sichtbar bleiben, damit Überraschungseinsätze unmöglich werden. Scott Ritter schrieb dazu nach dem Drohnenangriff:
"Das wäre das Gegenstück dessen, wenn ein feindlicher Akteur einen Drohnenschlag gegen die B-52H-Bomber der US-Luftwaffe führt, die auf der Minot Air Force Base in North Dakota und auf der Barksdale Air Force Base in Louisiana stationiert sind, und auf die B-2-Bomber, die auf der Whiteman Air Force Base in Missouri stationiert sind."
Auch all diese Flugzeuge stehen, jederzeit nachzählbar, im Freien. Aber auch die Vereinigten Staaten würden eine Beeinträchtigung ihrer atomaren Reaktionsfähigkeiten als einen sehr schwerwiegenden Angriff werten.
Was bedeutet, dass es eine deutliche Reaktion geben wird. Nur, gerade weil dieser Vorfall so ernst war, ist es essenziell, zu wissen, von wem dieser Angriff tatsächlich ausging. Denn auch wenn der ukrainische SBU sofort laut "Hier!" geschrien hat und Wladimir Selenskij die Planungen persönlich beaufsichtigt haben will ‒ niemand geht davon aus, dass das alles ohne westliche Hilfe erfolgte.
Allerdings ist derzeit ein entscheidender Punkt unklar ‒ war das eine Handlung, die wirklich den Segen des Kollektiven Westens hatte? Schließlich verläuft durch diese Gruppe von Staaten derzeit ein Riss. Es ist unübersehbar, dass die Kernländer der EU, also Frankreich und Deutschland, aber eben auch das Nicht-EU-Land Großbritannien, von einer weiteren Verschärfung des Ukraine-Konflikts träumen, gleich, wie wenige Ukrainer am Ende noch übrig bleiben. Aber die Position der Vereinigten Staaten ist derzeit unklar.
Weshalb es verschiedene Möglichkeiten gibt, wobei auch noch eine Rolle spielt, dass der Vorlauf dieser Attacke angeblich 18 Monate betragen haben soll. Der Amtswechsel im Weißen Haus war erst im Januar, also zu einem Zeitpunkt, als diese Vorbereitungen bereits ein Jahr lang liefen.
Es gab zuletzt einige Punkte, die darauf hindeuteten, dass die Differenzen zwischen den USA und ihren europäischen NATO-Verbündeten tiefer gehen. Da sind die US-Pläne, Truppen aus Europa abzuziehen. Da gab es die Aussage, in der Ukraine werde ein Stellvertreterkrieg geführt, die jüngst noch einmal von Keith Kellogg bestätigt wurde (der jedoch eine sehr zwiespältige Rolle spielt, wie an seinem katastrophalen "Friedensplan" zu sehen ist). Und US-Verteidigungsminister Pete Hegseth wird auf dem anstehenden Unterstützertreffen in Ramstein, das einzig zur Aufrechterhaltung des Krieges in der Ukraine geschaffen wurde, nicht anwesend sein.
Gleichzeitig war Lindsey Graham, einer der großen Kriegstreiber in den USA, zwei Tage vor dem Angriff in Kiew und tingelt seither durch die europäischen Hauptstädte. Die von ihm im US-Senat vorangetriebenen Sekundärsanktionen gegen alle, die russische Energierohstoffe und Waren kaufen, können auch ein extremer Angriff gegen Trump sein, was mit Grahams derzeitiger Beliebtheit in Europa besser zusammenpasst als die andere Variante, dass auch das ein Teil des relativ schwer zu durchschauenden Spiels von Trump ist.
Aus dieser Lage ergeben sich gleich mehrere Varianten, wer letztlich die Durchführung dieses Angriffs beschlossen haben könnte.
- Variante 1: Es war tatsächlich die US-Regierung, und Donald Trump wusste von den Plänen. Das wurde von ihm aber zumindest offiziell bestritten.
- Variante 2: Andere Personen aus seiner Regierung, beispielsweise Verteidigungsminister Pete Hegseth, haben diesen Plänen zugestimmt, aber Trump nicht informiert, um ihm die berühmt-berüchtigte "glaubwürdige Abstreitbarkeit" zu verschaffen.
- Variante 3: Die Pläne wurden unter Beteiligung von Personen im Pentagon und/oder CIA und/oder MI6 ausgekocht, noch unter der Biden-Regierung, und fortgeführt, ohne die neue US-Regierung darüber zu informieren. Falls diese Variante zutrifft, wird es nie eine offizielle Bestätigung geben, aber es werden einige Köpfe rollen.
- Variante 4: Der Plan stammte aus den Reihen des MI6 und wurde mit dem Segen der europäischen Ukraine-Unterstützer durchgeführt, aber ohne Einbeziehung der Vereinigten Staaten, und die erforderlichen Satelliteninformationen stammen von den Briten, die immerhin Zugriff auf viele der US-Daten haben.
Jede einzelne dieser Varianten hätte unterschiedliche Konsequenzen, was eine russische Reaktion betrifft. Nur die Varianten 1 und 2 erlauben eine unmittelbare Zuschreibung ‒ bei 3 und 4 wird das deutlich schwieriger. Allerdings ist es unübersehbar so, dass innerhalb der US-Verwaltung Sabotage gegen Trump an der Tagesordnung ist, und ähnliches könnte man auch von den Führungen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands sagen. Und gerade bei Variante 3 und 4 hat man es mit Personen zu tun, deren Herzenswunsch eine direkte Konfrontation der Vereinigten Staaten mit Russland ist, auch nuklear.
Das Beispiel der Oreschnik sollte lehren, dass eine russische Antwort mit Sicherheit erfolgen wird, sie muss nur mitnichten so aussehen, wie das Leute wie Röpcke erwarten. Sie wird sich nicht unterscheiden, ob nun zwei, vier oder, wie Röpcke behauptet, 40 Flugzeuge beschädigt wurden. Sie wird aber die Qualität des Angriffs einbeziehen und sie wird sich gegen die tatsächlich Verantwortlichen richten ‒ und wenn bei dieser Gelegenheit das MI6-Hauptquartier in Kiew samt Besatzung in Staub verwandelt wird.
Solche wie Röpcke wären vermutlich beeindruckt, wenn am Tag nach diesem Angriff die Bankowa beschossen worden wäre. Nur, das ist, angesichts der Rolle, die die Ukraine spielt, auf jeden Fall zu kurz gegriffen. Denn die wirkliche Verantwortung tragen diejenigen hinter der Ukraine. Eine Erwiderung ist dadurch komplizierter – vor allem in einer Phase, in der die westliche Front zu bröckeln scheint. Umso wichtiger ist es, genau zu wissen, dass man den Richtigen trifft. Und wie schrieb schon Sun Tzu? "Greife ihn an, wenn er nicht vorbereitet ist, tauche auf, wo du nicht erwartet wirst."
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