Joachim Gauck: "Putin muss erkennen, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann"
Der Journalist Philipp Sandmann, ein ehemaliger politischer Korrespondent für den deutschen Fernsehsender n-tv, erkannte für sich die Notwendigkeit, den Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck "exklusiv" für seinen Substack-Blog zu interviewen. Gauck zeige sich "mit Blick auf ein gerechtes Ende" des Krieges in der Ukraine "skeptisch", so der Journalist einleitend in seinem Interviewartikel. Zudem fordere der gut dotierte Politpensionär von den Deutschen eine "neue Ernsthaftigkeit" zum Thema der Unterstützung der Ukraine.
Zur einleitenden Frage, ob Gauck persönlich davon ausgehe, dass das Jahr 2025, "mit der Unterstützung von US-Präsident Donald Trump", das Ende des Krieges in der Ukraine bringen könnte, erklärt Gauck:
"Ich sehe die Chance auf ein Ende dieses Krieges – aber nicht notwendigerweise auf ein gerechtes Ende. Denn es wird kein Frieden sein, wenn Russland das bekommt, was es mit Gewalt erzwingen will. Dann sprechen wir nicht von Frieden, sondern von Unterwerfung."
Es bestünde jedoch die Gefahr, dass sich "die Vereinigten Staaten unter Präsident Trump aus der Verantwortung zurückziehen". Dies würde unmittelbar bedeuten, dass Washington "dem Aggressor nachgeben und das Opfer zum Nachgeben zwingen" würde. Die damit verbundene Entwicklung laute für Gauck, dass die USA "die Idee der Freiheit verraten – und zugleich die Prinzipien preisgeben, auf denen sie gegründet wurden". Die eindeutige Kritik am US-Präsidenten lautet:
"Wer Opfer und Täter verwechselt, verliert den moralischen Kompass – und lädt den Vormarsch der Gewalt ein."
Zur Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putin erklärt der Träger des "Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland":
"Ein echter Friede wird nur möglich sein, wenn Putin erkennt, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann – militärisch nicht, wirtschaftlich nicht, politisch nicht. Dazu braucht es Stärke, nicht Beschwichtigung."
Gauck habe daher die große Sorge, dass, ausgehend von der jüngsten Politik Washingtons, Europa und Deutschland "erneut in den alten Reflex zurückfallen: in das Prinzip Hoffnung". Dazu erklärt er im Interview:
"Dass wir wieder glauben, mit guten Worten und zurückhaltender Diplomatie allein ließe sich ein imperialer Machtwille stoppen. Der Westen war lange blind für Putins Agenda. Wir hörten seine Worte, aber wir wollten sie nicht ernst nehmen. Wir sahen die Truppenbewegungen, aber wir hielten am 'Business as usual' fest. Und jetzt – da sich Amerika unter Trump weiter zurückzieht – spüren wir schmerzhaft, dass wir sehr viel mehr tun müssen, um für unsere Sicherheit einzustehen."
In bekannter, regelmäßiger Manier erfolgt dann die anmahnende Kritik des Bundespräsidenten a.D. an die Bürger Deutschlands:
"Was mich besorgt, ist nicht allein die militärische Schwäche, sondern die mentale: Dass wir nicht ausreichend vorbereitet sind – nicht nur technisch, sondern emotional, moralisch, politisch. Wir brauchen eine neue Ernsthaftigkeit. Denn Russlands Krieg gegen die Ukraine ist mehr als ein regionaler Konflikt. Es ist ein Angriff auf unser Verständnis von Freiheit, Völkerrecht und Menschenwürde."
Der Ex-n-tv-Mitarbeiter möchte dann noch erfahren, "wird Europa – wird Deutschland – nun endlich handeln müssen?". Dazu führt Gauck in gefürchteter, politischer "Wir-Auslegung" aus:
"Wir werden handeln müssen. Wir haben schlicht keine andere Wahl mehr. Die westliche Allianz, die uns geschützt hat, ist seit Donald Trump nicht mehr verlässlich. Wer das nicht erkennt, verwechselt Gegenwart mit Vergangenheit. Und wer aus dieser Erkenntnis nicht die Konsequenz zieht, handelt fahrlässig."
Für den 85-jährigen Theologen sei abschließend, unmissverständlich klar:
"Aufrüstung ist kein Tabu mehr, sondern Notwendigkeit. Wehrfähigkeit ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern Ausdruck einer wachen Demokratie. Und Solidarität mit der Ukraine ist keine Option, sondern ein Gebot der Gerechtigkeit. Ich weiß, dass viele Menschen sich nach Frieden sehnen. Aber echter Frieden entsteht nicht durch Wegsehen, sondern durch Standhalten. Wir müssen friedfertig bewaffnet sein. Nur dann sind wir glaubwürdig. Nur dann schützen wir, was wir lieben."
Im Februar 2023 erläuterte Gauck bereits in einem Gespräch mit der Zeit seine Ansicht, dass der "Verteidigungskampf der Ukraine" mit weiteren Lieferungen von Militärgerät massiv gestärkt werden müsse (Bezahlschranke). So legte er wörtlich dar:
"Ich bin realistisch genug, um zu ahnen, dass die Reserven, über die Putin verfügt, den Krieg auch zu seinen Gunsten entscheiden könnten. Doch das erhöht nur meine Entschlossenheit, dafür zu werben, die Ukraine entschieden zu unterstützen. Ich hoffe, dass es gelingt, sie weiter zu stärken. Einen gewissen Ausgleich zu schaffen gegen diese Reserven, über die Putin verfügt."
Im Jahr 2014 lautete sein Resümee zum Thema Russland bei seiner Rede der "Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen 1939":
"Nach dem Fall der Mauer hatten die Europäische Union, die NATO und die Gruppe der großen Industrienationen jeweils besondere Beziehungen zu Russland entwickelt und das Land auf verschiedene Weise integriert. Diese Partnerschaft ist von Russland de facto aufgekündigt worden […] Weil wir am Recht festhalten, weil wir es stärken und nicht dulden, dass es durch das Recht des Stärkeren ersetzt wird, stellen wir uns jenen entgegen, die internationales Recht brechen, fremdes Territorium annektieren und Abspaltung in fremden Ländern militärisch unterstützen."
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