Wie Pfizer-Deal auf Viagra: Von der Leyen verkauft EU an die USA
Von Gert Ewen Ungar
In Russland ist man sich weitgehend einig: Die EU wurde gestern tief gedemütigt. Schon die Form des Treffens zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump entsprach in keiner Weise dem üblichen Protokoll. Donald Trump war nach Schottland gereist, um seinen Privatbesitz in Augenschein zu nehmen und einen neuen Golf-Court zu eröffnen. In der Vermengung von privaten und geschäftlichen Interessen zog er noch schnell Ursula von der Leyen und damit die EU nach allen Regeln der Kunst über den Tisch. Warum von der Leyen sich überhaupt auf ein Treffen auf Trumps Privatanwesen eingelassen hat, bleibt unklar.
Nichts an der Begegnung im schottischen Turnberry entsprach einem Treffen hochrangiger Politiker, die über nichts weniger zu verhandeln hatten als die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen der Länder, die sie repräsentieren. Trump repräsentiert ein Land, Ursula von der Leyen gleich 27.
Wer bereits Ursula von der Leyens Pfizer-Deal für den schlechtesten Deal aller Zeiten hielt, der wurde nun eines Besseren belehrt. Von der Leyen legte noch einen drauf. Das, was die EU-Kommissionspräsidentin ausgehandelt hat, ist so etwas wie der Pfizer-Deal auf Viagra, das Versagen noch einmal potenziert.
15 Prozent Zölle auf Waren aus der EU, die in die USA exportiert werden. Null Prozent Zölle auf Waren, die aus den USA in die EU eingeführt werden. Ausgenommen sind Zölle für Aluminium und Stahl, da bleibt der US-Zollsatz unverändert bei 50 Prozent. Zusätzlich sicherte von der Leyen die Abnahme von Flüssiggas im Wert von 250 Milliarden Dollar zu. Nicht einmalig, sondern pro Jahr.
Spätestens hier stellt sich die Frage, wer die Kommissionspräsidentin dazu autorisiert hat? Zölle sind Angelegenheit der Kommission, aber Verträge über den Bezug von Energie haben bisher immer noch die EU-Staaten mit den Lieferländern ausgehandelt. Die Antwort ist einfach: Niemand hat von der Leyen dazu autorisiert. Sie macht es einfach, weil sie weiß, sie kommt damit durch.
Ein Misstrauensvotum gegen sie wurde erst abgeschmettert. Auch da ging es darum, dass von der Leyen jedes Maß verloren und jede rote Linie überschritten hat. Das EU-Parlament duldet den autokratischen Stil der Kommissionspräsidentin, und für deren Fehler bezahlen müssen weder die Kommissare noch die EU-Abgeordneten, sondern andere – die Bürger nämlich. Das einzig Gute an dem Deal in Turnberry ist, dass es diesmal keine SMS gibt, die von der Leyen löschen könnte. Ihr Versagen ist öffentlich.
Von der Leyen versprach Trump noch zusätzliche Investitionen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar. Da nehmen die Aufrüstungspläne der EU Gestalt an. Ebenso wie Deutschland plant die EU, sich zu verschulden, um mit dem aufgenommenen Geld Waffen in den USA zu kaufen. Das ist unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wohl das Dümmste, was man tun kann: Schulden machen, um einer anderen Volkswirtschaft zu Wachstum zu verhelfen, während zu Hause die Infrastruktur bröckelt.
Was von der Leyen "ausgehandelt" hat, ist nichts anderes als die Bereitschaft der Kommission, die EU zu einer US-Kolonie zu degradieren. Da war das Angebot Trumps an Kanada, den USA als 51. Bundesstaat beizutreten, noch attraktiver. Als Bundesstaat hat man immerhin noch Mitspracherechte und Stimmgewicht im US-Kongress. Der EU hat Trump noch nicht einmal das zugestanden. Von der Leyen lächelte.
Die Frage bleibt, wie es dazu kommen konnte? Schon im Vorfeld hat sich die EU durch eine Mischung aus absoluter Arroganz, aus Hass und moralischer Selbstüberhöhung in die Ecke manövriert. Aus China kam angesichts der Zolldrohungen der USA das Angebot zur Kooperation. Die EU wollte nicht. Brüssel fühlte sich mächtiger, überlegener, vor allem wertehaltiger als China.
Aus lauter Hass auf Russland verbietet sich die EU den Bezug von günstiger russischer Energie. Man wolle Putins Kriegskasse nicht füllen, lautet das Argument, das sich auf einem ähnlichen intellektuellen Niveau bewegt wie die Absicht, Schulden zu machen, um in anderen Ländern einkaufen gehen zu können. Russland ist zum Führen des Kriegs nicht auf ausländische Devisen angewiesen.
Die Verwechslung von moralischer Empörung mit von Interessen geleiteter rationaler Politik wird der EU nun das Rückgrat brechen. Auch mit maximal zur Schau getragener moralischer Hybris lassen sich ökonomische Gesetze nicht aushebeln. Das muss man in Brüssel noch lernen. Über wirtschaftlichen Erfolg entscheidet der Preis, nicht aber, was man von Russland oder China hält. Von der Leyen und sehr viele um sie herum haben das nicht verstanden.
Die EU hat sich selbst in die Fänge Trumps manövriert. Diese Abhängigkeit, in die sich die EU begeben hat, verklärt die Kommission obendrein zum Fortschritt. Der Bezug von Energie aus den USA diene der "Diversifikation". In einer Pressemitteilung heißt es dazu:
"Der Kauf amerikanischer Energieprodukte wird unsere Versorgungsquellen diversifizieren und zur Energiesicherheit Europas beitragen. Wir werden russisches Gas und Öl durch umfangreiche Käufe von amerikanischem Flüssigerdgas, Öl und Kernbrennstoffen ersetzen."
Auf so einen Neusprech wäre wohl selbst George Orwell nicht gekommen. Die EU hat mit dem 18. Sanktionspaket Sanktionen gegen Drittstaaten wie Indien erlassen, über die bisher noch russisches Öl und Erdölprodukte in die EU kamen. Auch das will man nicht, man setzt nahezu ausschließlich auf die USA, überträgt dem Land ein Quasi-Monopol und behauptet im gleichen Atemzug, man hätte die Energieversorgung diversifiziert, sie sei nun sicherer. Die EU setzt sich selbst in die Abhängigkeitsfalle.
Ursula von der Leyen hat gestern aus der EU eine US-Kolonie gemacht. Der "Deal" wird zu fortschreitender Deindustrialisierung und damit zu schwindendem Wohlstand in der gesamten EU fĂĽhren. Der Schaden, den von der Leyen der EU und ihren BĂĽrgern zugefĂĽgt hat, ist enorm.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die EU ihren eigenen wirtschaftlichen Niedergang als Ganzes und geeint übersteht, ist verschwindend gering. Von der Leyen behauptet, Putin wolle die EU zerstören. Aber den Beitrag, den die Kommissionspräsidentin gestern zum Zerfall der EU geleistet hat, hätte Putin niemals leisten können – selbst wenn er gewollt hätte. Dass Trump von der Leyen gedemütigt hat, sieht man zwar in Russland, aber in Brüssel sieht man es natürlich nicht. Das transatlantische Bündnis bleibt auch bei Strafe des Untergangs unantastbar und heilig.
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